125 Jahre Oberer Bahnhof Grüna

125 Jahre Oberer Bahnhof Grüna und Bahnstrecke Limbach – Wüstenbrand

Das am 19. und 20. November von den Eisenbahnfreunden um Sylvio Köstner, Carsten Friedrich und Markus Bergelt gemeinsam mit dem Familienzentrum Mäusenest e.V. organisierte Bahnhofsfest anlässlich 125 Jahre Oberer Bahnhof Grüna und Bahnstrecke Limbach-Wüstenbrand fiel in die Zeit kurz nach Redaktionsschluss der letzten Ausgabe des Ortschaftsanzeigers.

Bahnhofsfest November 2022 mit Kleindiesellok

Ein paar Bilder davon konnten noch im Beitrag des Mäusenests erscheinen. Viele Gäste besuchten auch die Ausstellung in den Räumen des Mäusenests, aber nicht jeder hatte Gelegenheit, Texte und Bilder zu Bahnhof und Bahnstrecke dort in Ruhe zu lesen und anzuschauen. Deshalb hier im Ortschaftsanzeiger ein Beitrag dazu.

Oberer Bahnhof Grüna

Der obere Bahnhof lag am Kilometer 9,8 der Bahnlinie Limbach – Wüstenbrand. Als deren letzte Zwischenstation hielten hier vom 1. Dezember 1897 bis zum 29. Dezember 1950 Personenzüge. Bis 23. September 1910 hatte die Station die offizielle Bezeichnung „Obergrüna“, anschließend „Grüna (Sachsen) oberer Bahnhof“.

Historische Aufnahme des Oberen Bahnhofs mit Grüna um 1910 (Sammlung Thomas Böttger)

Mit der Stilllegung des Limbacher Astes, 1951, wurde der obere Bahnhof Teil der Güterzugstrecke Küchwald – Wüstenbrand. Die Hektometerangabe des oberen Bahnhofs änderte sich nun in 12,9. Der Bahnhof war ausgestattet mit einem Empfangsgebäude, einem Nebengebäude (beide in Klinkerbauweise) und einem Güterschuppen. Alle Gebäude sind noch vorhanden. In seiner Blütezeit besaß der Bahnhof drei parallele Gleise und vier Weichen. Nach der Stilllegung der Limbacher Strecke diente der obere Bahnhof noch dem regionalen Güterumschlag. Zum Jahresende 1963 verlor er den Status Bahnhof und unterstand fortan dem Bahnhof Wüstenbrand als Ladestelle. Der Gleisplan wurde mehrfach geändert, was vor allem Rückbau bedeutete. Bis 1999 gab es hier noch ein Nebengleis, das beidseitig an das Streckengleis mit Weichen angebunden war und von der Bahnmeisterei genutzt worden ist. Betriebliche Bedeutung hatte Obergrüna in den letzten Betriebsjahren der Güterbahn nicht mehr. Am 27. Mai 2000 rollten die letzten Kohlenzüge für das Chemnitzer Heizkraftwerk hier durch. Seit 2011 befindet sich der obere Bahnhof in der Obhut von Sylvio Köstner. Eine Kleindiesellok (Kö 4936) und seit Mai 2022 ein Bau-/Wohnwagen erinnern auf den verbliebenen 190 Metern Gleis an die Zeit der Eisenbahn im oberen Grüna.

Bahnstrecke Limbach - Wüstenbrand

Die direkte Schienenverbindung von Limbach(-Oberfrohna) nach Wüstenbrand, welche 2022 Jahr ihren 125. Geburtstag gefeiert hätte, existiert in ihrer Gesamtheit schon seit 72 Jahren nicht mehr. Das Industriestädtchen Limbach (heute Teil der Großen Kreisstadt Limbach-Oberfrohna) war seit 1872 durch eine Stichstrecke nach Wittgensdorf oberer Bahnhof an das Schienennetz angebunden. Trotzdem gab es Bestrebungen, eine weitere Bahnverbindung gen Süden zu errichten, um direkten Anschluss an die Hauptstrecke Dresden – Werdau und das Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenrevier zu erlangen. Von vier möglichen Trassenvarianten wurde 1892 schließlich die kostengünstigste, nämlich die „Ostumfahrung des Totensteins“ mit Anbindung der Orte Kändler, Röhrsdorf/Löbenhain, Rabenstein und Grüna auserkoren. Wüstenbrand als Einfädelungspunkt bot zugleich direkten Anschluss an die Hauptbahn und die dort abzweigende Strecke nach Lugau bzw. Höhlteich (heute Neuoelsnitz) und somit an die Kohlevorkommen. Die Bewilligung der finanziellen Mittel – es waren 2.483.000 Mark veranschlagt worden – erfolgte im Frühjahr 1894 durch zwei Kammern der Ständeversammlung Dresden. Der Bau der 12,14 km langen Strecke begann im Frühjahr 1896 und war im Oktober 1897 weitestgehend abgeschlossen.

Abzweig am Schützenhaus ca. 1910 (rechts: Strecke nach Limbach, links: Strecke nach Chemnitz, Quelle: Buch Grüna/Sa. Geschichte und Geschichten aus der Grünen Au)

Am 30. November 1897 fanden die offiziellen Eröffnungsfeierlichkeiten statt und ab 1. Dezember begann der Regelbetrieb mit fünf Zugpaaren pro Tag. Betrieblich war die Strecke nach der „Bahnordnung für Nebeneisenbahnen Deutschlands“ von 1892 organisiert. Auf der gesamten Strecke war immer nur ein Zug unterwegs, die Weitermeldung erfolgte telegraphisch. Neben reinen Güterzügen verkehrten alle Reisezüge bis in die 1920er-Jahre hinein als Personenzüge mit Güterbeförderung (Pmg). Da diese auch die Zwischenbahnhöfe im Güterverkehr bedienten, ergaben sich lange Fahrzeiten von durchschnittlich 47 Minuten. Die strikte Trennung in Personenzüge und Nahgüterzüge führte später zu Reisezeiten von 26-29 Minuten für die Gesamtstrecke.

Der Pleißenbachviadukt in Kändler mit einer Sonderfahrt, Juni 1983 (Thomas Böttger)

Auf der Limbach-Wüstenbrander Strecke kamen fast ausschließlich Lokomotiven und Wagen sächsischer Bauart zum Einsatz. Lokbehandlung und Beheimatung erfolgten in Limbach, wo entsprechende Anlagen zur Verfügung standen. Die sächsischen Tenderlokomotiven der Bauart IIIb T, IV T (spätere Baureihe 71.3) und XIV HT (Baureihe 75.5) waren typische Zugpferde im Laufe der Zeit. Auch die Baureihen 64, 94.20 (XI HT) und 38.2-3 (XII H2) kamen auf die Strecke. Der Wagenpark war überwiegend aus zweiachsigen sächsischen Abteilwagen (2.-4. Klasse) gebildet, ergänzt durch den Gepäckwagen. Im Nahgüterverkehr wurden ab 1934 fabrikneue Kleindieselloks vom Typ Kö II von Limbach und Wüstenbrand aus eingesetzt. Der Abschnitt Grüna – Wüstenbrand hat als Teil der Güterzugstrecke von Küchwald wesentlich mehr Fahrzeuge gesehen, u. a. fallen darunter auch die DR-Diesellokbaureihen 106, 110, 118 und 132.

Der Betrieb auf der Strecke war zu keinem Zeitpunkt rentabel. Der Personenverkehr war nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutungslos und eine Betriebseinstellung bereits absehbar geworden. Die Reparationsforderungen der UdSSR zwangen die Deutsche Reichsbahn, wenig profitable Strecken aufzugeben, um das knappe Gleismaterial auf den wichtigen Hauptstrecken einzusetzen. Das Schienennetz litt unter dem fast überall demontierten zweiten Hauptstreckengleis und dem kriegsbedingten Unterhaltungsrückstand. Hinzu kam die politisch wichtige Umfahrung Berlins, die sichergestellt werden musste. Am 29. Dezember 1950 verkehrte der letzte reguläre Zug auf der Gesamtstrecke, welcher, von einer „illegalen“ Sonderfahrt mit Kö II nach Rabenstein im Sommer'51 abgesehen, auch der letzte Reisezug war. Im April 1951 wurden die Gleise binnen zehn Tagen zwischen km 3,4 und 6,6 demontiert. Das gewonnene Gleismaterial wurde unter strenger Bewachung nach Fleetmark an der Hauptstrecke Stendal – Salzwedel verbracht. Das verbliebene Streckenstück von Limbach her hatte sein Fortbestehen der Röhrsdorfer Tankholzfabrik zu verdanken, die für nennenswerten Güterverkehr sorgte. Der Bau des „Kulturpalastes“ der SAG Wismut sorgte bis 1951 noch für Baustofftransporte nach Rabenstein. 1952 wurde der Bahnhof Rabenstein endgültig aufgegeben und die Strecke bis zum Abzweig Schützenhaus (nahe Forsthaus Grüna) demontiert. Mitte der 1960er-Jahre endete auch der Güterverkehr nach Röhrsdorf und Kändler. Doch das Streckenstück blieb, denn zeitgleich wurde im Röhrsdorfer Ortsteil Löbenhain ein Zentrales Umspannwerk errichtet. Der Streckenrest Limbach – Röhrsdorf erhielt den Status eines Anschlussgleises und wurde ertüchtigt. Anlässlich der Feierlichkeiten zu "100 Jahre Stadtrecht Limbach" initiierten Eisenbahnfreunde am 26. Juni 1983 zu Fotozwecken eine Leerfahrt nach Röhrsdorf. Zum Einsatz kam die damalige Rochlitzer Heizlok 86 1501.

Ein Transformatorentausch mittels Eisenbahn erfolgte letztmals im Dezember 1997. Mit der am 11. Dezember 2001 durch das Eisenbahn-Bundesamt genehmigten Stilllegung der Strecke Limbach – Wittgensdorf oberer Bahnhof verlor auch das Anschlussgleis seine Existenzgrundlage. „Auf der anderen Seite“ wurden die 1903 erbaute Güterstrecke Küchwald – Grüna und das Reststück der Limbacher Strecke auf Wüstenbrander Seite zur Strecke Küchwald – Wüstenbrand vereinigt, die Kilometrierung passte man erst in den 1980er-Jahren an. Während der Elektrifizierung der Hauptstrecke zwischen Karl-Marx-Stadt und Wüstenbrand leitete man 1964 zeitweise den Gesamtverkehr über die Güterbahn. Den immer schlechter werdenden Gleiszustand milderte man in den 1980ern sukzessive mit überwiegend gebrauchtem Gleismaterial ab.

Kohlezug Ende der 90er Jahre (Ronny Preußler)

Eine letzte Renaissance erlebte die Strecke zwischen Sommer 1997 und Mai 2000, als Kohle-, Kalk-, Gips- und Aschezüge für das Heizkraftwerk Chemnitz-Nord II mehrmals täglich verkehrten. Grund für die mehrjährige Umleitung waren Achslastherabsenkungen bei Brückenbauwerken auf der Strecke Chemnitz – Borna (– Leipzig). Die nochmals hohe Streckenauslastung in Verbindung mit einigen unbeschrankten Wegübergängen und folgerichtigem Signalton der Lokführer führte zu zahlreichen Anwohnerprotesten in Grüna und Rabenstein. Vielen, die ihr Eigenheim jüngst neben dem Gleis platziert haben, hatte man wohl eine „tote Bahn“ versprochen. Entsprechend groß war der Verdruss. Zu einer erneuten Streckennutzung kam es nach 2000 nicht mehr. Vielmehr genehmigte das Eisenbahn-Bundesamt zum 29. Juni 2004 die Stilllegung der Bahnstrecke, welche am 30. September desselben Jahres wirksam wurde. Um einen vier Meter breiten Radweg auf der Bahntrasse zu errichten, kaufte die Stadt Chemnitz die Bahngrundstücke und ließ die Gleise bis Mitte 2020 abreißen. (Ein Beitrag dazu ist Im Ortschaftsanzeiger 05/2020 zu lesen.) Bis der Radweg in Grüna fertig sein wird, vergehen noch Jahre. Aktuell arbeitet man an den ersten beiden Bauabschnitten zwischen Chemnitz-Altendorf und Rabenstein.


Abriss der Gleise im Jahre 2020

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums unserer Bahnlinie pendelten am 6. und 7. Dezember 1997 mehrmals dampflokbespannte Reisezüge zwischen Chemnitz und Wüstenbrand. Zum Einsatz kam dabei 50 3648 des Sächsischen Eisenbahnmuseums Chemnitz-Hilbersdorf. Im oberen Bahnhof von Grüna konnte die Kleindiesellok der Lugauer Eisenbahnfreunde auf dem Nebengleis für Führerstandsmitfahrten genutzt werden. Immerhin letzteres ist 25 Jahre später – Familie Köstner sei Dank – wiederholbar. Von einem dampflokgeführten Sonderzug mit wunderbaren Grünaer und Rabensteiner Aussichten auf die Winterlandschaft konnte man anno 2022 jedoch nur noch träumen.

Dampfzug zum 100-jährigen Jubiläum der Strecke (Thomas Böttger)

Was man heute noch findet? Neben dem Grünaer Bahnhof und dem Rabensteiner Viadukt (jetzt Wanderweg und 2021-23 saniert dank der Beharrlichkeit Rabensteiner Bürger sowie durch Spenden und Fördergelder) erinnern folgende Relikte an die Strecke:

Ein Stück originales Gleis liegt noch in Röhrsdorf, u. a. im Bahnübergang Haardt (km 2,37). Das Pleißenbachviadukt in Kändler liegt versteckt und mittlerweile stark zugewachsen. Von der Auritztalbrücke an der A4 existieren noch die Widerlager und einzelne Fundamente der Stützpfeiler. Auch das Stationsgebäude in Rabenstein blieb bis heute erhalten.

Originales Gleisstück in Röhrsdorf

Widerlager der Auritztalbrücke an der A4

Am Ortseingang von Rabenstein (bis 1897 Oberrabenstein) verlief die Bahn durch einen Geländeeinschnitt. Auf einem Betonbogen querte die Bergstraße (heute Kreisigstraße) bei km 5,81 den Einschnitt. Da noch vor der offiziellen Einweihung der Brücke Strumpfwirker mit einem Eselskarren das Bauwerk passierten, taufte der Volksmund sie zugleich zur "Eselsbrücke". Seit 2004 erinnern Heimatfreunde mit einem Denkmal an diese Brücke.

Denkmal an der „Eselsbrücke“

Wie man am Geländer sieht, ist das Kleinod sehr oft menschlichen Idioten ausgesetzt. Der Holzesel ist aktuell nicht vorhanden. Die Originalbrücke wurde schon zu tiefsten DDR-Zeiten abgebrochen, der Einschnitt mit Müll und Aushub des Stausees verfüllt.

Markus Bergelt (Text und Autor aller nicht anderweitig gekennzeichneten Aufnahmen)

Dieser Artikel stammt aus dem Ortschaftsanzeiger Grüna / Mittelbach Februar 2023

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