2021/05 Nach fast 30 Jahren: Heimkehr einer Gedenktafel

Nach fast 30 Jahren: Heimkehr einer Gedenktafel

Eine recht abenteuerliche Geschichte umgibt die Baumgarten-Gedenktafel von 1937, die als nunmehr ältestes und wichtigstes Exponat – weil original und bestens erhalten – in der Baumgarten-Wölfert-Gedenkausstellung im Rathaus Grüna besichtigt werden kann (wenn die Umstände eine Öffnung wieder erlauben).


Bekanntermaßen war es unserem Oberförster und Luftschiff-Erfinder nicht vergönnt, glänzende Erfolge zu feiern wie zum Beispiel ein Graf Zeppelin, und er starb verarmt und verlassen in einer Irrenanstalt. Seine Erfindungen fanden keine Würdigung, und so war er rasch vergessen, selbst in Grüna. Erst 45 Jahre nach seinem Tod begann man hier, Nachforschungen anzustellen. Als nämlich am 3. Oktober 1928 das erfolgreichste Luftschiff der Welt, der LZ-127 „Graf Zeppelin“, über Grüna fuhr und nach Augenzeugenberichten die Bugspitze senkte, wurde das als Verneigung vor dem Fliegenden Oberförster verstanden. Und jetzt, auf dem Höhepunkt der Zeppelin-Begeisterung, erinnerte man sich: Da hatten wir doch auch mal einen ...

So wurde die „Interessengruppe Luftschiff Baumgarten“ gegründet, mit bald 73 Mitgliedern. So mancher Grünaer kann in der Mitgliederliste (die in der Ausstellung im Original aushängt) einen Vorfahren finden. Die Prominentesten darunter waren sicher Baumgartens ältester Sohn Georg, Reichsbahn-Oberingenieur in Dresden, sowie dessen Sohn, ebenfalls Georg und Kunstmaler in München. Jüngstes Mitglied war der damals 25-jährige Buchbindermeister Carl May, der den älteren Grünaern noch gut bekannt sein dürfte und der sich sein Leben lang für das Gedenken an Baumgarten und für die Pflege von Grünas Geschichte eingesetzt hat. Wenig später benannte sich die Interessengruppe um in „Verein für Ortsgeschichte Grüna“ und ist damit wohl der Vorläufer des heutigen Heimatvereins. Der Anfang war schwer, denn es war nichts aus Baumgartens Nachlass mehr vorhanden – nur die Erinnerungen einiger Alter.


Baumgartens 100. Geburtstag am 21. Januar 1937 war nun Anlaß für den Verein, sich um eine gebührende Ehrung zu bemühen. Engagierte Unterstützung erhielt er von Otto Kubicki aus Chemnitz, welcher über sein Hobby „Zeppelin-Luftpost“ auf Baumgarten gestoßen und von dessen Persönlichkeit und Erfinderleistung fasziniert war. Er schrieb an die Bürgermeister von Johanngeorgenstadt (Geburtsort), Grüna (Wirkungsstätte), Siegmar (letzter Wohnort) und Colditz (Sterbeort), man möge sich doch dafür einsetzen, dem Luftschifferfinder ein Denkmal oder wenigstens eine Gedenktafel zu setzen.

Die Reaktionen konnten unterschiedlicher kaum sein. Glatte Ablehnung aus Colditz:


Grüna verhielt sich ausweichend. Bürgermeister Walther wollte zunächst den Gemeinderat fragen, der vertagte das Thema auf die nächste Sitzung. Danach hieß es, man habe für ein Denkmal kein Geld, und auch Privatspenden seien wegen der Sammlungen für das Winterhilfswerk unwahrscheinlich. Für eine einfache Tafel aber bestünde „keine Neigung“. Kubicki hatte die Kosten für ein Denkmal mit 350 Mark und für eine Tafel mit 125 bis 250 Mark veranschlagt und mahnte noch einmal:


Bürgermeister Walther antwortete, „dass der Verein für Ortsgeschichte an der hiesigen Baumgartenstraße zwei Tafeln anbringen wird ... Ferner ist beabsichtigt, im nächstjährigen Haushaltplan ... einen Betrag für eine Erinnerungstafel einzustellen.“ Es blieb bei der Absicht.

Überrascht war Johanngeorgenstadt, denn in Baumgartens Geburtsort war über den Luftschiff-Erfinder bisher nichts bekannt. Bürgermeister Dr. Wedel schrieb nach Grüna:


Der Grünaer Bürgermeister musste eingestehen, dass über Baumgartens Luftschiff-Versuche „amtliche Unterlagen im hiesigen Gemeindearchiv nicht vorhanden“ sind. Aber man habe ja schon eine Straße nach ihm benannt, und Walther konnte drei ausführliche Zeitungsartikel über das damals bekannte Leben und Werk des Fliegenden Oberförsters beifügen.

Am 22.12.1936 schrieb Dr. Wedel an Otto Kubicki:


Und so geschah es. Beim späteren Abriss des Gebäudes 1954 wurde die Tafel sichergestellt, und sie befindet sich heute an einem Gedenkstein am Markt, 50 Meter vom alten Ort entfernt.


Es fehlt noch die Reaktion aus Siegmar, und damit endlich wieder zu „unserer“ Gedenktafel. Der Bürgermeister von Siegmar-Schönau wollte sich der Frage schnell entledigen, indem er sich für nicht zuständig erklärte, da Baumgartens Wirken ja in Grüna stattgefunden habe. Erst nach nochmaliger dringender Bitte erhielt Kubicki wenigstens die Daten aus dem Einwohnermeldeamt, denn den damaligen Baumgartenforschern war nicht einmal die Hausnummer bekannt, wo sich des Erfinders letzte Wohnung nach seinem Rausschmiss aus der Oberförsterei befunden hatte. Jede geldliche Unterstützung lehnte Siegmar ab, so dass letztlich der Verein für Ortsgeschichte Grüna die Finanzierung und Anbringung der Gedenktafel übernahm.


Anstelle der zunächst diskutierten Marmortafel entschied man sich für grün emailliertes Blech mit weißer Frakturschrift (Foto am Beginn dieses Artikels).

Dort, am Hause Zwickauer Straße 419, dem letzten Haus Siegmars an der Grenze zu Reichenbrand, hing die Tafel nun 55 Jahre lang, überstand den Krieg und die zu DDR-Zeiten sehr sparsame Fassadenpflege, sie war einfach immer da – so dass es zunächst niemandem auffiel, als sie plötzlich weg war.

Es war im März 1996; die unter Leitung des Chemnitzers Karl-Heinz Neubauer im Auftrag der Gemeinde Grüna geschaffene neue Baumgarten-Wölfert-Gedenkausstellung im Folklorehof hatte seit 18 Monaten geöffnet. Da meldete sich ein Grünaer Bürger mit der Nachricht, er habe im Zeppelinmuseum Meersburg am Bodensee eine Gedenktafel für Baumgarten gesehen, aber eine Auskunft dazu nicht erhalten. Im Zuge der Recherchen für die Grünaer Ausstellung hatte Neubauer das Fehlen der Tafel bereits bemerkt – und nun die heiße Spur! Er formulierte einen Brief im Namen von Bürgermeister Gerhard Traetz, in dem die Entstehung der Gedenktafel und ihre Bedeutung für Grüna geschildert wurden, und an dessen Ende die Forderung an das Museum nach Rückgabe stand – kostenlos, auch wenn dieses Wort nicht ausgesprochen war.

Das war sicher etwas blauäugig, denn Heinz Urban, der ganz private Besitzer des Meersburger Museums (nicht zu verwechseln und unvereinbar mit dem Zeppelin Museum Friedrichshafen), war und ist ein leidenschaftlicher Sammler sämtlicher Dinge und Dokumente, die mit Luftschiffen zu tun haben, und er hatte auch für dieses Schild viel Geld bezahlt. Als routinierter Händler bot er Bürgermeister Traetz die Rückgabe gegen Zahlung von 1.000 DM an, was für Grüna natürlich unerhört viel Geld war. In einem weiteren Telefonat reduzierte Urban seine Forderung auf 500 DM zzgl. Versandkosten, und da hätte aus heutiger Sicht Traetz zuschlagen sollen – doch man trennte sich stattdessen in Unfrieden. An eine juristische Verfolgung wegen Diebstahls oder Hehlerei dachte die Gemeinde nicht, sicher wegen Verjährung und auch fehlender Beweise. Und in dieser Blütezeit der Ortsentwicklung hatte man auch dringendere Aufgaben.

1998 wurde das Thema neu belebt, als eine 6. Schulklasse aus Reichenbrand nach einer Wanderung auf dem Baumgarten-Rundweg mit Nachforschungen über den Luftschiffpionier begann, auch in der Grünaer Ausstellung bei Karl-Heinz Neubauer. In Zusammenarbeit mit dem Soziokulturellen Zentrum „Gleis 1“ in Siegmar entstand der Plan, die gestohlene Tafel durch eine originalgetreue Kopie zu ersetzen. Diese kostete 400 DM (aus Mitteln des soziokulturellen Jugendfonds der Stadt) und wurde an Baumgartens 162. Geburtstag feierlich angebracht.


Die Jahre gingen ins Land, bis im Oktober 2019 der Verfasser dieser Zeilen (bekanntlich auch ein Freund der Luftschiff-Geschichte) sich einen Kurzurlaub am Bodensee gönnte und als Krönung eine Fahrt mit dem „Zeppelin NT“. (Ein Video davon finden Sie in unserer Ausstellung im Rathaus Grüna.) Zweiter Höhepunkt war ein Besuch des Meersburger Zeppelinmuseums, den ich jedem, der an diesem Thema ein wenig interessiert ist, nur wärmstens empfehlen kann (wenn Corona es wieder zulässt). Monika, die Frau des Besitzers, macht sehr nette und sachkundige Führungen und weiß für jeden Besucher von jedem Ort der Welt sofort einen Bezug zum Thema, und wenn es nur die historische Überfahrt eines Zeppelins gewesen ist. Sagen Sie ihr nur, Sie kommen aus Grüna ...


Mein Herz schlug höher, als ich in dem alten, beeindruckenden Gewölbe unser Schild entdeckte, am Fußboden hinter einem Hocker (im Foto gut zu erkennen). Zwischen all den ungezählten Zeppelin-Originalteilen und -Dokumenten schien es aber nicht so recht dazuzugehören. Und ich konnte diesen Ort nicht verlassen, ohne mit dem Besitzer gesprochen zu haben. Eine gute Stunde saßen wir im benachbarten Café.

Heinz Urban erzählt gern und viel – über die Stasi, den Kaiser, den Sozialismus, die unfähigen Politiker, und wie er selbst das alles besser gemacht hätte. Als jemand, der – inspiriert durch einen Zufallsfund im Sperrmüll – zu einem der renommiertesten Zeppelin-Sammler der Welt geworden ist, hat er seine ganz eigene Sicht auf die Dinge, was den Umgang mit ihm oft nicht einfach macht. Sein Spezialgebiet sind die Luftschiffe der Kaiserlichen Marine.


Mein Bild von der Geschichte ist nun, dass es ja in der DDR die Firma „KoKo“ (Kommerzielle Koordinierung) eines gewissen Herrn Schalck-Golodkowski gab, welche die Aufgabe hatte, Devisen zu beschaffen für dringend benötigte West-Technologie. Da wurde alles, was nicht niet- und nagelfest war, in den Westen verscherbelt, vom Pflasterstein bis zum Kunstwerk. Die Firma hatte Mitarbeiter, und diese hatten Listen mit allen „verwertbaren“ Sachen, auch unserem Emailleschild. Mit dem Ende der DDR wurde auch KoKo aufgelöst, und mancher Ex-Mitarbeiter beschloss wohl, noch rasch sein privates Geschäft zu machen. Listen waren ja vorhanden, und Kontakte zu hungrigen Abnehmern im Westen auch. So ein Gauner hatte nun um 1992 das Schild abgeschraubt und in Heinz Urban einen interessierten Käufer vermutet.

Ob der eine gesetzeswidrige Herkunft erkannte oder nicht, spielte in der damaligen gesetzlosen Zeit wohl keine Rolle, und darüber zu philosophieren hilft uns heute auch nicht weiter. Als praktische Lösung versuchte der Heimatverein Grüna nun, über einen Leihvertrag das Schild in unsere neue Ausstellung zu holen. Die Corona-Turbulenzen des Jahres 2020 kamen dazwischen, und Ende des Jahres erhielten wir die Nachricht, dass Urban wegen einer finanziellen Notlage infolge der langen Museumsschließung einige Dinge verkaufen müsste, darunter auch unser Schild. Damit drohte es aus unserem Blickfeld zu verschwinden, bei irgendeinem Emailleschild-Sammler zwischen Waschmittel- und Zigarrenreklame. Das durfte nicht sein.

Nach kurzer und entschlossener Abstimmung im Heimatverein fuhr der Verfasser am 11. April 2021 nach Meersburg, um das Schild nach Hause zu holen. Die Aussage von Heinz Urban, dass er einen sehr günstigen Preis für uns gemacht habe, obwohl „die Gierigen“ ihm viel mehr geboten hätten, wurde uns von sachkundiger Seite bestätigt – Antiquitäten haben keine Preisregeln. Und Urban war zu der Überzeugung gelangt, dass dieses Teil nach Grüna gehörte, in unsere Ausstellung. Als Bonus gab er uns noch ein bekanntes Bild vom Baumgarten-Luftschiff, doch in bisher ungekannter Qualität. Danke, lieber Heinz!


Meinen Bericht möchte ich abschließen mit dem Wunsch, dass dieses wundervolle Museum die Corona-Krise überleben möge und dass sich bald eine Lösung findet, die einmaligen Exponate in ihrer Gesamtheit auch durch einen Nachfolger für die Öffentlichkeit zu erhalten.

Fritz Stengel, Heimatverein Grüna

Dieser Artikel stammt aus dem Ortschaftsanzeiger Grüna / Mittelbach Juni 2021

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