1894 -1979 Der Volkschor - 85 Jahre lang mitbestimmend für die Kultur in Grüna

​1894 Der Volkschor - 85 Jahre lang mitbestimmend für die Kultur in Grüna

(1894 bis 1979)

Schauen wir in das 19. Jahrhundert zurück:

Zu einer Zeit, als Radios oder gar Fernsehen unbekannt waren, wurde in den Familien viel gemeinsam gesungen zum eigenen Vergnügen und zur Freude anderer. Einen Männergesangverein Grüna gab es bereits um 1850. Der Arbeitergesangverein wird 1894 mit dem Beschluss der Königlichen Amtshauptmannschaft zu Chemnitz vom 7.6.1894 erstmals aktenkundig. Darin wird der Gemeindevorstand Clauß aufgefordert, strenge Aufsicht über den Verein zu führen, weil „...der Verein den Gesang sozialdemokratischer Lieder pflegt und die sozialdemokratische Agitation durch Gesangsvorträge unterstützt...". Und dem Vorstand des Vereins wird mitgeteilt: „Mit anderen Vereinen in Verbindung zu treten, ist Ihrem Verein strengstens untersagt." Vermutlich löst sich der Verein wenige Wochen später auf (letzte Erwähnung 14.9.1894), um sich als Gesangverein Echo neu zu gründen. Auf der Mitgliederliste vom 24.5.1895 stehen die gleichen Namen wie zuvor beim Arbeitergesangverein. Unter dem Namen des Dirigenten Hermann Scherf („gewerbsmäßiger Musik- und Gesangsunternehmer") und dem im Statut festgelegten "Zweck des Vereins: Pflege und Förderung des Gesangs mehrstimmiger Chöre, Quartetts, Doppelquartetts sowie komisch-humoristischer Piecen" hatten sich die Arbeitersänger getarnt. 1907 schrieb der Gendarm Ludwig Döring an die Amtshauptmannschaft: „Der Gesangverein Echo in Grüna besteht zur Zeit aus 105 Mitgliedern im Alter von 19 bis 75 Jahren. Die Personen gehören mit wenigen Ausnahmen dem Arbeiterstand und gleichzeitig der Umsturzpartei an..." 105 Mitglieder! - dabei gibt es den Männergesangverein, die „Liederlust" und kleinere Chöre in Grüna. 1910 feierte der Männergesangverein sein 60jähriges Bestehen und damit sein letztes Jubiläum. Die Verschmelzung beider Männerchöre stand unmittelbar bevor und wurde unter dem Namen „Männergesangverein Volkschor Grüna" vollzogen. (Anzumerken ist dabei, dass zum 50jährigen Jubiläum des Männergesangvereins viele Chöre und Vereine eingeladen waren „...mit Ausschluß des hier bestehenden sozialistischen Gesangsvereins Echo.") Der Beinamen Männergesangverein verschwand spätestens 1912, als unter dem Dirigenten Max Dickert die Erweiterung zum gemischten Chor erfolgte. Der 1. Weltkrieg unterbrach die Entwicklung, doch 1921 gestaltete der Volkschor die erste Jugendweihe in Grüna aus. Den Chorleitern und Dirigenten Heinrich Büttner und Otto Friedrich Oehmichen ist es zu verdanken, dass der Volkschor in den folgenden Jahren weit über Grüna hinaus bekannt wurde. Zum Volkschor gehörte auch ein Kinderchor, einer der jungen Sänger war Rolf Frenzel. Im Januar 1929 übernahm Paul Kurzbach, gerade 26 Jahre alt, die Leitung des Volkschores. Schon nach dem ersten Konzert unter seiner Stabführung schreibt die Presse: „...Wir können den Chor zu dieser Wahl nur beglückwünschen. Er hat einen Künstler von außerordentlicher Begabung gewonnen." Werke von Händel, Telemann und zeitgenössischen Komponisten wurden einstudiert und aufgeführt. Dann die schwerste Zeit. Am 13.3.1933 wird Paul Kurzbach verhaftet (nach 14 Tagen wieder freigelassen), der Chor wird aufgelöst, das Notenmaterial verbrannt. Der wertvolle Seiler-Flügel kann gerettet werden, weil ein Teil der Sänger zur „Liederlust" übertrat. Dessen Vorsitzender, der Lehrer Max Hähnel, setzte sich dafür ein, dass Paul Kurzbach als neuer Leiter des Vereins berufen wurde. Der 2. Weltkrieg bedeutete für viele Mitglieder des Chores Einberufung zur Wehrmacht - auch für Paul Kurzbach. Nicht alle kehrten zurück. Um sich selbst und anderen Mut zu machen, veranstaltete der Chor im Dezember 1945 einen „Musikalischen Nachmittag". Unter Leitung von Heinz Große erklangen Werke aus dem alten Repertoire. 1946 kehrt Paul Kurzbach aus der Gefangenschaft zurück. Das erste große Konzert unter seiner Leitung fand im September 1947 im Hotel Clauß statt mit Werken von Komponisten des 15. und 16. Jahrhunderts. Es folgten: 1948 „Carmina Burana", 1951 „Acis und Galatea", 1952 „Chorfantasie", 1953 „Schubertfeier", 1954 „Brechtkantate". Nicht alle Aufführungen - darunter u.a. in Betrieben und Altenheimen - können aufgezählt werden. Die erfolgreiche Teilnahme an Volkskunstwettbewerben und die Goldmedaille zu den Arbeiterfestspielen, aber auch Kritiken in der Presse, wo u.a. vom „feingeschulten Volkschor Grüna" geschrieben wird, sind Lohn für unzählige Chorproben. Ende der 50er Jahre gab Herbert Oeser seine Aufgabe als organisatorischer Leiter des Volkschores auf. Rolf Frenzel, der die Kulturgruppe der Gartenanlage „Eigener Fleiß" geleitet und mit ihr zweimal den Ausscheid im Kreis Karl-Marx-Stadt gewonnen hatte, erinnert sich: „Marie Schönfeld und Paul Kurzbach haben mit mir geredet und geredet und mich überredet." Ab 1958/59 wird er Leiter des Volkschores Grüna. Seine enge Zusammenarbeit mit Paul Kurzbach als künstlerischen Leiter und Dirigenten beeinflusste maßgebend die Entwicklung des Chores und die Programmgestaltung. Mit der Neueröffnung des Kulturhauses der IG Wismut im September 1961 - alsbald Heimstatt des Volkschores - erlebten die Einwohner von Grüna und Umgebung jährlich zwei große Konzerte. „Einmal wurden 426 Karten verkauft (bei 300 zugelassenen Plätzen), Konzerte mussten wiederholt werden, weil so viele kommen wollten." Rolf Frenzel ist noch heute stolz auf solche Erfolge. Der Volkschor Grüna war weit über die Grenzen des Kreises und Bezirkes Karl-Marx-Stadt hinaus bekannt. Die weiteste Reise führte nach Prenzlau in den Bezirk Neubrandenburg. Doch die Entwicklung schritt voran. Radios hatten in jedem Haushalt Einzug gehalten, immer mehr Familien sitzen vor dem Fernseher. Neue Musikstile begeistern vor allem die Jugend, bald dominieren die Beatles und andere Gruppen die Musikszene. Staatlich gefördert werden die Singebewegung, die Singeklubs. Die Chöre mit klassischem Repertoire, natürlich auch von zeitgenössischen Komponisten, wurden weniger beachtet, die Volksmusik verlor an Zuspruch, die Unterstützung der Gemeinde und der Schule blieb aus. Das alles machte sich drastisch im Fehlen von Nachwuchs bemerkbar. Paul Kurzbach suchte neue Wege, damit das musikalische Erbe nicht in Vergessenheit versinkt. Im kleinen Saal des Kulturhauses trafen sich Interessierte mit ihm und Chormitgliedern zu den Veranstaltungsreihen „Kammermusik im Gespräch" und „Das Komponistenporträt". Erlebnisse, an die sich ältere Grünaer noch erinnern werden.

Ende der 70er Jahre dann die Einschätzung der langjährigen Chormitglieder: „Büffeln" ohne Erfolgserlebnis ist sinnlos - nur wenn man anderen Freude bereiten kann ist Chorsingen sinnvoll. Ihnen blieb die Erinnerung daran, wie bedeutungsvoll die Kunst für jeden einzelnen ist, und diese Erkenntnis haben sie in ihren Familien und im Freundeskreis weitergegeben. Was inzwischen mit dem Kulturhaus passiert ist, macht Rolf Frenzel - und nicht nur ihn - traurig. „Der Wegfall dieser Kulturstätte ist schlimm, für mich sind damit viele schöne Erinnerungen verbunden, hier hat der Volkschor seinen nicht geringen Beitrag zur Entwicklung des kulturellen Lebens in Grüna geleistet. Und die Wismut hatte bis 1988 noch viel Geld für den Erhalt und den Ausbau des Gebäudes eingesetzt. Dem Gesangverein Grüna-Mittelbach wünsche ich einen so guten Zusammenhalt, wie wir ihn im Volkschor gepflegt haben, und immer ein begeisterungsfähiges Publikum."

(Der Beitrag entstand im Gespräch mit Rolf Frenzel und durch Auswertung der übergebenen Dokumente - aufgeschrieben von Gerda Schaale)

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