Das Ende des 2. Weltkrieges 1945 in Grüna

Aus der Geschichte von Grüna

von Christoph Ehrhardt

Das Ende des 2. Weltkrieges 1945 in Grüna

Vor 75 Jahren ging der 2. Weltkrieg zu Ende. Der Krieg brachte viele Opfer und Leid für die Bevölkerung unseres Landes. Die Zerstörungen durch den Krieg jedoch waren in Grüna vergleichsweise zu anderen Vororten bzw. Stadtteilen von Chemnitz gering. Am 16. April 1945 wurde unser Ort kampflos von den US-amerikanischen Truppen besetzt. Das Kriegsende folgte darauf am 8. Mai 1945. Nachfolgend soll über das Geschehen im letzten Kriegsjahr 1944/45 bis hin zur Besetzung unserer Gemeinde Grüna berichtet werden. Das Kriegsende erlebte ich als Kind in Grüna.

Der vorliegende Beitrag wurde bereits in den zurückliegenden Jahren in Konsultationen mit Grünaer Bürgern erarbeitet. Ein großer Teil der damals daran beteiligten Bürger ist leider bereits verstorben. Jetzt ist der Bericht aktualisiert, da durch Recherchen in neuen Quellen ergänzende Erkenntnisse gewonnen werden konnten.

Vom 1.September 1939 bis 8.Mai 1945 währte der 2. Weltkrieg. In den letzten Monaten hatten die zunehmenden Luftangriffe und der Kampf an den Fronten zu immer größeren Verlusten an Menschen geführt. Spätestens gegen Ende des Jahres 1944 wurde den meisten Menschen bewusst, dass der Krieg auch für die in der Heimat lebenden Menschen ein schlimmes Ende nehmen wird.

An der westlichen Landesgrenze bei Aachen standen schon die US-amerikanischen Truppen, und an der Weichsel waren bereits die sowjetischen Truppen, die „Rote Armee“, angelangt. Aufgrund der verschärften Kriegslage hatte das Naziregimes im September 1944 alle „waffenfähigen Männer“ im Alter von 16 und über 60 Jahren für den totalen Kriegseinsatz zum „Volkssturm“ aufgerufen. (Das Alter für die Einziehung zur Wehrmacht war schon 1944 von 17½ auf 16 Jahre herunter gesetzt worden.)

Auch in Grüna war ein Volkssturm (möglicherweise mehrere Einheiten) zur letzten Verteidigung des Landes gebildet worden. Ihr erster wöchentlicher Dienst erfolgte damals in der Turnhalle des Allgemeinen Turnvereins unter Ansprache des hiesigen NS-Ortsgruppenleiters während einer größeren Kundgebung im Oktober 1944.

1943/44 drangen anglo-amerikanische Flugzeugverbände immer weiter in den deutschen Luftraum ein. Sie überflogen in großer Höhe als silbrig glänzende Staffel leicht dröhnend unser Gebiet. Anfangs bombardierten sie größere Städte und Industrieanlagen im westlichen Teil Deutschland, wenig später auch Leipzig und im September 1944 die Wandererwerke in Siegmar-Schönau als nächstliegendes Ziel. Bei diesem Luftangriff kamen 4 Bürger aus Grüna, die dort beschäftigt waren, ums Leben.

In unserer Gemeinde erschienen im Herbst 1944 die ersten Bürger aus den Städten Köln, Hamburg und Leipzig, deren Häuser durch Fliegerangriffe zerstört waren. Ihre Zahl nahm bis Jahresende weiter zu. Die obdachlosen Menschen mussten aufgenommen werden, obwohl es zu dieser Zeit in unserem Ort schon viele wohnungssuchende Familien gab. Auch von der Ostgrenze unseres Landes, damals aus den Provinzen Ostpreußen und Oberschlesien, kamen gegen Jahresende 1944 die ersten Flüchtlinge. Sie mussten meist zwangsweise dort „bis zur letzten Stunde“ ausharren und dann überstürzt ihre Heimat verlassen. Bei ihrer Flucht konnten sie nur das Notwendigste mitnehmen. Nach vielen Strapazen trafen sie, oft ausgehungert, abgespannt und übermüdet über Transporte der Eisenbahn, aber auch oft streckenweise zu Fuß in unserem Gebiet ein. Die Zahl der Flüchtlinge, damals mit „Volksgenossen aus dem Osten“ bezeichnet, nahm mit Beginn der sowjetischen Januar-Offensive beträchtlich zu (Ende Januar 1945 wird von 625 ankommenden Flüchtlingen berichtet). Ein großer Teil konnte im Ort nicht mehr aufgenommen werden und musste an andere Gemeinden weitergeleitet werden. Auch durch Bomben obdachlos gewordene Bürger mussten abgewiesen werden. Der damalige Grünaer Bürgermeister Richard Walther berichtete, dass im Ort „kein Wohnraum mehr zur Verfügung steht und die größte Wohnungsnot herrscht“.

In den folgenden Monaten bis Kriegsende 1945 kamen noch über 2000 Flüchtlinge und evakuierte Bürger hinzu, die irgendwie im Ort untergebracht oder in andere Gebiete weitergeleitet werden mussten. Die meisten fanden in unserer Gemeinde keinen festen Wohnsitz mehr.

Im beginnenden Jahr 1945 brach zunehmend die Wirtschaft zusammen. Hauptursachen waren der ständige Mangel an Arbeitskräften, insbesondere Facharbeitern, sowie der Verlust von Industriegebieten und Rohstoffquellen. Mit der Besetzung der Provinz Oberschlesien und des Ruhrgebietes blieben die Kohlelieferungen aus. Es verschlechterte sich auch die Lebenslage der Menschen. Bei der Lebensmittelverteilung erfolgte eine Kürzung der Nahrungsmittelrationen. Sie sollte in erster Linie der zunehmenden Zahl an Flüchtlingen, insbesondere deren Versorgung dienen. Die einheimische Bevölkerung war aufgerufen worden, für die Flüchtlinge Opfer zu bringen.

Der totale Kriegseinsatz erforderte immer mehr Menschen und Kräfte für Rüstung und Wehrmacht. Im Februar 1945 fand eine nochmalige Erfassung aller wehrtüchtigen Männer des Jahrgangs 1929 statt. Um das „Aufbringungssoll“ zu erreichen, meldete man auch „bedingt kriegsverwendungstaugliche“ Männer und Flüchtlinge sowie Männer, die schon im Volkssturm dienen mussten. Die Musterung dazu erfolgte Ende März/Anfang April 1945 im Restaurant „Birkenknittel“. Zur Einberufung an die Front kam es nicht mehr.

Kurz vor dem nahenden Kriegsende wurden auch Transporte von Kriegsgefangenen und Bürgern jüdischer Herkunft in andere Konzentrationslager durchgeführt. Zeitzeugen berichteten am 22. Februar 1945 von einem Zug jüdischer Häftlinge auf der Chemnitzer Straße. Ausgehungert und entkräftet zogen sie bei großer Kälte, von Aufsehern angetrieben, durch den Ort. In der ehemaligen Flachsfabrik (jetzt Gewerbepark „Alte Flachse“) nächtigten sie. 2 Jüdinnen starben infolge Krankheit und Entkräftung.




Sie wurden in der damaligen „Sandgrube“ an der Eisenbahnlinie vergraben und erst Jahre später im Friedhof beigesetzt. Ein Gedenkstein steht heute noch in der Nähe der Grünaer Kirche (Bilder vom 8.Mai 1955 und 2020).

Der Terror gegen Kriegsgegner, anders denkende Bürger und Zweifler am „Endsieg“ nahm zu. Mitte Februar wurden in allen feindbedrohten bzw. frontnahen Gebieten des Reiches „fliegende“ Standgerichte eingerichtet. Sog. „Werwolf“- Organisationen wurden aktiv. In den besetzten Gebieten sollten sie eine Art Partisanenkampf gegen die alliierten Truppen führen. Da dies kaum möglich war, richtete sich der Kampf vor allem gegen die Menschen im eigenen Lande. So verhaftete eine „Werwolfgruppe“, zu der auch einige Grünaer gehörten, in den letzten Tagen vor Kriegsende mehrere Bürger, die gegen eine Weiterführung des Krieges waren und führte sie einem Kriegsgericht zu. Sie gab lt. Zeugenaussagen auch den Befehl zur Erschießung einiger Personen, darunter Ostarbeiter, Deutsche und Franzosen.

Ab Februar 1945 kamen die anglo-amerikanischen Fliegerverbände verstärkt in den sächsischen Luftraum. Es gab keine organisierte Luftabwehr mehr. Dresden wurde in der Nacht vom 13/14. Februar 1945 total zerstört. Ähnliches geschah in Chemnitz am 5. März 1945. Bei diesem Luftangriff waren vorher über Grüna von feindlichen Flugzeugen „leuchtende Christbäume“ am Himmel abgesteckt worden. Die Einwohner im Ort nahmen an, dass über unsere Gemeinde die ersten Bomben fallen werden und die damals größten Betriebe, die Kratos-Werke Walther Nacken, die Sächsischen Drahtwerke Franz Langer und im oberen Ortsteil die Flachsfabrik Türk & Co. vernichtet werden sollten. Es fielen glücklicherweise keine Bomben im Ort. Nur einige wenige Sprengkörper oder Luftminen wurden ganz in der Nähe des Forsthauses Grüna an der oberen Bahnlinie im Rabensteiner Wald abgeworfen. Sie richteten keinen Schaden an. Ihre Einschlagskrater sind heute noch zu sehen. (Nahe Rabenstein befinden sich zahlreiche weitere Bombentrichter, die aber nicht im Zusammenhang mit den Angriffen am 5.März 1945 stehen.)


Das ganze Ausmaß der Auswirkungen des vernichtenden Bombenabwurfs auf Chemnitz jedoch zeigte sich am anderen Morgen. Ausgebombte Bürger mit verdreckten und verrußten Gesichtern erschienen mit wenig gerettetem Hab und Gut im Handwagen oder Rucksack im Ort und suchten neue Unterkünfte. Ein Teil kam zunächst bei Bekannten und Verwandten oder in Notquartieren, wie dem „Oberen Gasthof Grüna,“ unter. In der folgenden Zeit mussten nahezu 450 Bürger in Grüna unter Zwangsmaßnahmen untergebracht werden. Nicht alle Einwohner im Ort waren bereit, geschädigte Bürger oder auch Flüchtlinge aufzunehmen. Vielen konnte kein Wohnraum mehr zugewiesen werden.

Im März 1945, kurz vor Ende des Krieges, verschlechterte sich die Lebenslage der Menschen weiter. In der 73. Zuteilungsperiode wurde für bestimmte Nahrungsmittel nur noch Ersatz angeboten, die Einkellerkartoffeln mussten länger als sonst reichen und für Sonderzuteilungen wurden Ausweise ausgegeben. Ab 1. April 1945 verbot das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft sogar die Haltung von Gänsen, Enten und Truthühnern, um die Ernährung zu sichern. Auch die Zahl der im Ort vorhandenen größeren Tiere war durch Schlachtungen weitgehend reduziert worden. Hausschlachtungen von Ziegen mussten vorher angemeldet werden, aber die Not wurde so groß, dass man sich oft nicht mehr daran hielt.

Die Infrastruktur brach in den letzten Wochen vor Kriegsende immer mehr zusammen. Das Arbeitsleben, der Handel und Verkehr kamen zum Erliegen. Es gab kaum noch Transportfahrzeuge und vor allem Kraftstoffe, um für die Bevölkerung Nahrungsgüter in ausreichendem Maß herbeizuschaffen. Die meisten Zugpferde waren durch vorherige Pferdemusterungen für die Kriegswirtschaft eingezogen worden. Die wenigen noch vorhandenen Pferde mussten für dringende Fuhren zur Ernährung eingesetzt werden. Später wurden auch die Futtermittel knapp. Die ausgehungerten und geschwächten Tiere waren nur noch in der Lage, leichte Transporte auszuführen.

Anfang April 1945 stieg mit dem weiteren Herannahen der amerikanischen Truppen die Spannung in der Bevölkerung von Tag zu Tag. Die Menschen bekamen den Krieg immer stärker zu spüren. Die gesamte Lebenslage geriet außer Kontrolle. In zunehmendem Maße und im April täglich wurde durch die Sirene im Rathaus Fliegeralarm angekündigt. Im Radio hörte man die Meldung „Feindliche Fliegerverbände nähern sich aus dem Norden.“ Trotz Verdunkelung der Fenster durfte kein Licht mehr angebrannt werden. Nachts wurden die Bürger aus dem Schlaf gerissen und mussten die Keller aufsuchen. Tagsüber wurden die Arbeit, der Verkehr und der Schulunterricht unterbrochen. Die Schüler des oberen Ortsteiles kamen oft nicht mehr nach Hause, als bereits die ersten amerikanischen Bomber in großer Höhe unseren Ort überflogen. In der letzten Woche vor der Besetzung unseres Ortes, als sich die Front näherte, konnte kein Schulunterricht mehr durchgeführt werden.

Zunehmend erschienen feindliche Tiefflieger und Jagdbomber, die die Eisenbahnzüge auf den Bahnstrecken und den Bahnanlagen in Wüstenbrand beschossen. Auf der unteren Eisenbahnstrecke in Grüna war ein vor der Einfahrt zum Wüstenbrander Bahnhof haltenden Personenzug das Ziel von amerikanischen Flugzeugen. Auch die sog.„Bimmelbahn“, die damals noch auf der oberen Bahnlinie von Wüstenbrand nach Limbach fuhr, wurde beschossen. Der Zug blieb nach der Brücke über die Pleißaer Straße in Grüna stehen. Die Lok pfiff mit mehreren Einschusslöchern Dampf ab. Mögliche Opfer von Menschen durch diesen Angriff wurden nicht bekannt. Die Flieger verschwanden schnell wieder. Auf der Straße und im freien Gelände wurde es immer gefährlicher. Straßenpassanten waren nicht mehr sicher. Zwei Frauen im Ort konnten vor dem Beschuss von Tieffliegern gerade noch rechtzeitig in ein Ladengeschäft an der damaligen Adolf-Hitler-Straße (jetzt August-Bebel-Straße) flüchten.

In den letzten Tagen kam es vereinzelt zu Abstürzen feindlicher Flugzeuge. Zeitzeugen erinnerten sich noch an den Absturz eines brennenden Jagdflugzeuges hinter „Engels Wald“. Eine weitere Maschine kam aus Richtung Mittelbach, raste auf den Waldrand Grüna zu und stürzte in der Nähe des damaligen alten Totensteinturmes im Wald ab.

Wenige Tage vor der Besetzung unseres Ortes war bereits ein Vortrupp schwerer Panzer am Landgraben Anfang Wüstenbrand sichtbar. Sie konnten von dort aus die Grünaer Fluren bis zum Waldrand überwachen. Hohenstein-Ernstthal und Wüstenrand waren bereits besetzt worden. Die amerikanischen Truppen drangen schnell auf der jetzigen Autobahn A4 weiter vor, belegten im Wald ebenfalls stellenweise die Totensteinstraße sowie freie Waldlichtungen. Niemand wagte sich mehr weit in den Wald. Die amerikanischen Geschütze beschossen in Richtung Stelzendorf und Neukirchen restliche Stellungen deutscher Truppen. Die meisten Geschosse überflogen unseren Ort und richteten bei uns keinen Schaden an.

Vereinzelt erschienen noch flüchtende deutsche Soldaten, die in Häusern oder im nahen Waldrand Schutz suchten. Ein Soldat übernachtete bei uns und versuchte danach sich am anderen Morgen durch die gegnerische Front in den Westteil unseres Landes (Thüringen) durchzuschlagen. Es war gefährlich. Die amerikanischen Truppen beschossen von Wüstenbrand und Landgraben aus auch zivile Personen, die sich auf Wegen am Waldrand aufhielten.

Am 13. April 1945 - drei Tage vor der Besetzung unseres Ortes – gab es den ersten Feindalarm. Er war für das gesamte Chemnitzer Gebiet ausgelöst worden. Alle älteren, dem Volkssturm angehörigen Männer wurden in den frühen Morgenstunden aus dem Schlaf gerissen, um Widerstand gegen die herannahenden amerikanischen Truppen zu leisten. Niemand durfte zur Arbeit gehen. Man hatte in Grüna drei Gruppen des Volkssturmes aus dem oberen, mittleren und unteren Ortsteil gebildet. Sie waren nur mit wenigen Gewehren und noch weniger Panzerfäusten ausgerüstet. Eugen Baldauf, einer der Volkssturmmänner (ab 1945 Bürgermeister von Grüna), erinnerte sich: „Um 7 Uhr mussten wir stellen. Der Feind ist im Anmarsch. Niemand jedoch wusste richtig Bescheid … Im Wald mussten Schützenlöcher ausgegraben werden. Durch Fällen von Bäumen sollten Panzersperren errichtet werden … Dies währte bis Mittag - dann rückten wir wieder heimwärts“. Und weiter, nachdem nachmittags gegen 14.30Uhr die Sirenen erneut Feindalarm meldeten „Wir wurden nochmals in den Wald geschleppt. - Warum? – Niemand wusste es – der Geist aller war deprimierend.“

Am 14. April 1945 erfolgte erneut Feindalarm. Wieder musste der Volkssturm ausrücken. Ein Teil der Männer leistete der Aufforderung keine Folge mehr, obwohl auch die Einheiten des Volkssturmes dem militärischen Strafrecht mit Todesstrafe bei Fahnenflucht unterlagen.

Von anderen Volkssturmeinheiten, vermutlich im unteren Ortsteil, wurde berichtet, dass die Männer von Grüna und Reichenbrand ursprünglich nach Limbach zu einen Sammelplatz sollten mit dem Versuch, einen entlang der Verkehrsstraße von Penig kommenden Panzervorstoß der US-Armee aufzuhalten. Die Lösung dieser Aufgabe war nahezu aussichtslos, da Limbach an diesen Tag bereits von amerikanischen Truppen besetzt worden war und sich abzeichnete, dass die amerikanischen Truppen auf der Autobahn bis Chemnitz vorstoßen würden. Aufgrund der unklaren Nachrichtenlage und ausweglosen Situation soll es bereits vorher zu Auseinandersetzungen zwischen der „Führung dieser Truppe“ und besonders den „Grünaer Männern“ gekommen sein, Die Folge war, dass sich die Volkssturmeinheit vermutlich durch Gehorsamsverweigerung wohl unter lautstarken Auseinandersetzungen auflöste. Ein Weitermarsch nach Limbach kam nicht mehr zustande. Einzelne Volkssturmmänner sollen sich nach Chemnitz abgesetzt haben.

Im Ort selbst versuchten in den letzten Tagen noch immer einzelne, zu allem entschlossene Nationalsozialisten die Einwohner zum Widerstand anzutreiben. Sie kontrollierten, dass keine weißen Fahnen oder Bettlaken aus den Fenstern gehängt wurden. Kurz vor dem Einzug der amerikanischen Truppen und der Besetzung unseres Ortes aber verzogen sie sich.

Am 15. April 1945 waren die von Wüstenbrand aus vorrückenden Panzer schon bis Reichenbrand und Siegmar vorgestoßen. Sie hatten die damalige westliche Stadtgrenze von Chemnitz erreicht und wollten von dort aus die Stadt sturmreif schießen. Beide Vororte ergaben sich nach Panzerbeschuss, wurden aber erst später besetzt.

Die amerikanischen Truppen waren an diesem Tag vom Landgraben schon bis zum damaligen Grünaer Sommerbad im Wiesengrund vorgerückt. Roland Nestler, wohnhaft in der Aktienstraße im unterem Ortsteil von Grüna, berichtete, wie sich nach etwa 10minutigem Feindalarm vom Landgraben bzw. Anfang Wüstenbrand viele Militärfahrzeuge, vor allem Panzer langsam zum Wiesengrunde in Richtung des heutigen Fußballplatzes zu bewegten. Sie gaben auch Schüsse in Richtung des Forsthauses und Feierabend- und Pflegeheimes ab, das damals ein Hilfskrankenhaus der Stadt Limbach war. Sie schlugen in der Nähe des heutigen Parkplatzes ein.

Am westlichen Zaun des früheren Sommerbades machten die Fahrzeuge halt. Nach einer Weile absoluter Ruhe tauchte plötzlich ein Militärfahrzeug auf der Mittelbacher Straße mit großem weißen Stern auf dem Motor auf. Rechts und links an der Straße standen Soldaten in Reihe mit Gewehren. Das Fahrzeug steuerte ganz langsam auf sein Haus zu, aus welchem ein weißes Betttuch hing. Kurz darauf pochte es an der Haustür mit lang anhaltendem Klingelton. Roland Nestler berichtete dazu weiter: „Wir hatten alle Angst. Zwei Soldaten, dabei ein ganz Schwarzer, standen vor der Tür … ´Hands up!!!’ sagte laut der Schwarze. Nach einem langen Gespräch zwischen mir, meiner Mutter und Schwester sowie den Soldaten, bei welchem wir kaum etwas verstanden - fragte der Schwarze in Englisch nach Eiern aus unserem Hühnergarten … Das hatte ich verstanden! Also haben wir die früh morgens abgenommenen fünf Eier aus dem Waschhaus geholt und den Soldaten hingehalten… In Gegenzug holte der Schwarze dann aus seinen riesigen Hosentaschen Schokolade, Kekse, Kaugummi und Zigaretten für uns heraus“ Beide Soldaten verschwanden dann wieder. Nestler schilderte weiter „Nachdem die amerikanischen Truppen sich überzeugt hatten, dass keine deutschen Soldaten in der Nähe waren, ging im Wiesengrund das Lagerleben los … Die Panzersoldaten gruben Erdlöcher in den Ackerboden, etwa 50 cm tief, und legten in diese die Matratzen, die sie sich vorher von den Einwohnern in den Häusern geholt hatten. Dann fuhren sie mit dem Panzer zum Schutz vor Regen darüber. Das Feldcamp war fertig. Wir, die Kinder und Jugendlichen von der Mittelbacher Straße durften sogar bis an die Panzer heran.“

Die Panzer blieben auch in den nächsten Tagen. Nestler berichtete: „Es kehrte Ruhe ein. Für uns war der Krieg vorbei. Die amerikanischen Soldaten wurden zum Alltag. Der Schwarze kam regelmäßig zu uns, um frische Eier zu holen, im Gegenwert dazu Schokolade und Zigaretten.“

Ob damals schon eine nachfolgende Besetzung der Häuser im unteren Teil von Grüna an der Mittelbacher Straße durch die stationierten Panzereinheiten stattfand, ist nicht bekannt. Die US-amerikanischen Truppen hatten an diesem Tag unseren Ort weitgehend umschlossen. Auch nördlich von Grüna auf der Autobahn waren ihre Panzereinheiten bis nahe Chemnitz-Borna vorgestoßen und hatten dabei strategisch wichtige Punkte, wie den Galgenberg bei Rabenstein, besetzt.

Am 16. April 1945, vormittags 8:30 Uhr gab es nochmals Feindalarm. Es passierte noch nichts. Aber nachmittags gegen 14:30 Uhr, nachdem das dritte Mal Feindalarm, ein durchgehend langer Heulton, gegeben wurde, rückten die amerikanischen Truppen im oberen Ortsteil von Grüna ein. In gebückter Stellung mit dem Gewehr im Anschlag kamen sie von Wüstenbrand her aus dem Wald auf die Berghäuser zu. Es war ein Tag mit viel Sonnenschein. Eine beängstigende Stille herrschte. Nur die einzige Glocke der Grünaer Kirche läutete, um ein friedliches Zeichen zu geben. Wir Kinder konnten im gebührenden Anstand den Einmarsch der Truppen und die kampflose Besetzung der Häuser auf der oberen und unteren Bergstraße verfolgen. Sie besetzten danach auch die damalige Hindenburgstraße (jetzt Damaschkestraße), später den weiteren Ort. Die Anwohner mussten ihre Häuser schnell verlassen, und mit wenigem Hab und Gut bei benachbarten freien Häusern eine vorläufige Unterkunft suchen. Der amerikanische Befehlshaber dieser Truppen soll im Rathaus seinen Sitz gehabt haben.

Mit dieser friedlichen Besetzung unseres Ortes durch die US-amerikanischen Truppen war die 12-jährige Hitlerherrschaft für Grüna zu Ende.

Über die nachfolgende US-amerikanische Besatzungszeit von Mitte April bis Mitte Juni 1945 wird später im Ortschaftsanzeiger Grüna/Mittelbach berichtet.

Quellen: (StadtA=Stadtarchiv Chemnitz, STAC=Staatsarchiv Chemnitz)

Neues Tageblatt Nr. 249 v.23.10.44. In: StadtA Chemnitz , Gem Rabenstein 630

StadtA Chemnitz, Gem. Siegmar-Schönau 345

StadtA Chemnitz, Gem. Grüna S 10 Gesuche in Wohnungssachen 1945-46

StadtA Chemnitz, Gem. Grüna 156 Bezirksverband der Amtshauptmannschaft Chemnitz...1941-54

Stadt-Anzeiger 1995, 18. Woche, Deutsche Geschichte, Bd.3, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften , Berlin 1968, S. 376

StadtA Chemnitz, Gem. Grüna 806 Wohnungssachen 1937-44

StadtA Chemnitz Gem. Grüna S 9 Allgemeine Anordnungen der Besatzungsmächte ab 1945

Sächsische Volkszeitung vom Neujahr 1946, S.2

StadtA, Chemnitz, Gem.Grüna ,Ordnungspolizei 1940-45

StadtA Chemnitz, Gem.Grüna S 77 Opfer des Faschismus

STAC Bestand Staatsanwaltschaft beim Landgericht Chemnitz 30149, Signatur 915

Dieser Artikel stammt aus dem Ortschaftsanzeiger Grüna / Mittelbach Juni 2020

gruena-online.de

Der Heimatverein Grüna e.V. betreibt diese Internetseite, um unserem Ortsteil Grüna eine gewisse Eigenständigkeit zu erhalten.

Heimatverein Grüna e.V.

Die Arbeit des Heimatvereins ist sehr vielseitig.
Interesse an einer Mitarbeit?
Bitte treten Sie mit uns in Kontakt!

REDAXO 5 rocks!