Im Gespräch: Gunther und Bernhard Köhler

Gespräch mit Gunther und Bernhard Köhler

Zu denen, die die Entwicklung Grünas besonders nach 1990 maßgeblich mitbestimmt haben, gehörte Martin Köhler, für die Freie Wahlgemeinschaft in den 1. Gemeinderat unter Bürgermeister Gerhard Traetz gewählt und Vorsitzender des Bauausschusses. Viel Persönliches über ihren 2010 verstorbenen Vater, dessen Firma sie gemeinsam weiterführen, erfuhren wir im

„Baugeschäft Emil Köhler“ – der Name erinnert an ihren Urgroßvater. Als die Baugenossenschaft Grüna nach dem 1. Weltkrieg und der Inflation neue Häuser plante und diese Vorhaben ab 1926 in Eigenregie realisieren wollte, waren Kurt Wolf für die Zimmerleute und Emil Köhler für die Maurer zuständig. Letzterer konnte das, er war schon als junger Maurer für die Firma Schreiter beim Kirchenbau in Grüna dabei und hatte seither als Polier  Erfahrungen gesammelt. 1930 – die Eigenregie war untersagt – gründete er gemeinsam mit Herbert Weise das Baugeschäft. Beide arbeiteten weiter im Auftrag der Genossenschaft, Häuser an der Damaschkestraße, Neustädter Straße, Baumgartenstraße, Pleißaer Straße und am Genossenschaftsweg folgten. Dann machte der 2. Weltkrieg alle Baupläne zunichte.

Emil Köhler hatte drei Söhne: Kurt, Max und Paul. Sie lernten und arbeiteten alle im Maschinenbau. Erst an den Enkel, Martin Köhler, konnte der Senior, mit über 80 Jahren und fast erblindet, 1954 sein Lebenswerk übergeben. Dabei hatte auch dieser in den Wanderer-Werken Dreher gelernt. Seine Lehre „durfte“ er vorzeitig beenden, weil er zur Flak eingezogen wurde. Bei Parchim kam er in amerikanische Gefangenschaft, konnte bei einem Transport fliehen und sich nach Grüna durchschlagen. Nicht alle hatten das Glück, auch Maurer der Firma Köhler kehrten wie so viele nicht aus dem Krieg zurück.


Martin Köhler (verst. 2010) und seine Söhne Gunther und Bernhard (v.l.) 

Die Wanderer-Werke waren 1945 Ruinen, die erhalten gebliebenen Maschinen als Reparationsleistungen zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden demontiert und abtransportiert. Überall musste aufgebaut werden. Im Baugewerbe sah Martin Köhler seine Zukunft, sicher auch angeregt von seinem Großvater. Er absolvierte eine Lehre in der Baufirma Lugert (Oberfrohnaer Straße), erwarb den Meisterabschluss und übernahm die Firma seines Großvaters am 1. Januar 1954. Aus der Konkursmasse der Flachsfabrik kaufte er später das Gelände und das Haus Neustädter Straße 5. Der Bauhof wurde daraufhin von der Bergstraße 3 hierher verlagert.

In Grüna wurde nach dem Krieg privat wieder gebaut, so errichtete die Baufirma Köhler – inzwischen nicht mehr mit Herbert Weise als Mitinhaber – auch die Häuser Lutherstraße 10 und 12. Der Hauptteil der Arbeiten waren Reparaturen und Umbauten wie zum Beispiel das  Heizhaus und das Sozialgebäude des VEB Werkzeugfabrik Altenburg (ehemals Präzisionswerkzeugfabrik Reuther am Blumenweg) oder Reparaturarbeiten in der Firma Langer sowie Kleinaufträge wie: Essenköpfe instandsetzen, Jauchengruben mauern, Außen- und Innenputzarbeiten. Was eben eine Firma mit meist vier Personen so leisten konnte. Deshalb blieb Martin Köhler immer selbstständig, denn erst ab zehn Personen ging es um die staatliche Beteiligung, auch die Mitgliedschaft in einer PGH blieb ihm erspart.

Einfach war es trotzdem nicht, denn die Forderungen der Gemeinde musste er erfüllen. Es gab Planauflagen und Regelleistungspreise (Festpreise), Materialzuteilungsscheine für Ziegel, Zement u.a. und nur einen Bezugsort, die Baustoffgenossenschaft am Bahnhof Siegmar. Das Material reichte meist nicht für alle Aufträge. Wie sollte er mit einer Jahreszuweisung von 0,5 m³ Bauholz auskommen? Weil Martin Köhler niemanden beschwindeln wollte, so erzählt uns Gunther, hat er einmal einen Jahresplan nicht unterschrieben. Die Folge: Entzug des Gewerbescheins durch den Rat des Kreises. Seine Briefe an den Rat des Bezirkes und nach Berlin hatten Erfolg, er konnte sein Geschäft weiterführen.

Bei der Materiallieferung gab es auch andere Erschwernisse. Wenn sonntags auf dem Bahnhof Wüstenbrand Zement ankam, musste der Waggon sofort entladen werden, damit kein Standgeld anfiel. 80 Sack Zement ohne Paletten und Stapler zu buckeln war kein Kinderspiel. Oder 15 Tonnen losen Zement (das war die Mindestmenge) per LKW zu erhalten und in aufbewahrte Zementsäcke umzufüllen und abzuwiegen auch nicht. Und das für die Baukapazität eines Drei- oder Viermannbetriebes.

Eine weitere Schwierigkeit nicht nur im Baugewerbe: In den Betrieben verdienten die Arbeiter mehr als ein Handwerksbetrieb zahlen konnte. So waren sie bald nur noch zu dritt. Und dann passierte es: Sein einziger Mitarbeiter Frank Hofmann wurde 1980 zur NVA eingezogen, im Mai 1981 sein Sohn Gunther. Diesmal halfen auch Bittschreiben nichts, der Firmenchef war mehrere Monate allein.

Martin Köhler überstand auch diese Zeit und half, wann irgend möglich. Nachbarn und Grünaer Einwohnern wussten, dass ihnen mit Material in kleinen Mengen mal per Handwagen oder Eimern geholfen wurde, er genoss als Helfer in Notsituationen hohe Achtung und Anerkennung.

Um die Persönlichkeit von Martin Köhler noch besser charakterisieren zu können, muss man wissen, dass schon dessen Vorfahren zutiefst pazifistisch eingestellt waren. Kurt Köhler, Jahrgang 1900, war 1918 noch in den 1. Weltkrieg eingezogen worden und auf dem Flugplatz Großenhain mit Reparaturen und Wartungsarbeiten beauftragt. Er hat keine Waffe in die Hand genommen. Viel später lehnte auch Martin Köhler einen Auftrag ab, als wieder Luftschutzkeller gebaut werden sollten. Was kaum einer wusste und weiß: Als 1956 nach der Gründung der Bundeswehr (1955) und deren Beitritt zur NATO in der DDR die Nationale Volksarmee aus der Kasernierten Volkspolizei hervorging, sollten in wichtigen Gebäuden „für den Fall eines Krieges“ solche sicheren Räume vorhanden sein.

Für Martin Köhler waren das Christsein und christliches Handeln wichtig. Er arbeitete viele Jahre im Kirchenvorstand. Das betraf nicht nur fachliche Arbeiten zur Erhaltung der Kirche –  so ernst war die Lage in den 70er Jahren. Nur dank der Rettungsaktion, die durch die hier geborenen Günther Reuther und Sigfrid Frenzel ausgelöst und von rund 300 in der BRD lebenden Grünaern tatkräftig finanziell unterstützt wurde, konnten das benötigte Gerüst beschafft und viele andere Materialien geliefert werden. Nach der Wende wurde die Sanierung in größerem Umfang weitergeführt. Immer wieder dabei das Baugeschäft Emil Köhler.

 1989/1990 war die Kirche ein Treffpunkt für alle, die eine bessere Gesellschaft in diesem Teil Deutschlands errichten wollten. Auch für Martin Köhler, der sich der Freien Wahlgemeinschaft Grüna e. V. (FWG) anschloss und in den Gemeinderat gewählt wurde. Der Aufbruch brauchte solch aktive und erfahrene Männer wie den Bauingenieur Gerhard Traetz, den Baumeister Martin Köhler, den Stadtarchitekten Roland Nestler. „Bevor man an anderer Stelle wusste, wie man Gewerbegebiet schreibt, wurde in Grüna schon fleißig gebaut“, so charakterisiert Gunther Köhler die damalige Stimmung.

 Klaus Büttner, 1990 ebenfalls als Gemeinderat (FWG) gewählt, schätzte den fachlichen Einfluss von Martin Köhler und seine Streitgespräche, wenn es um die Vereinbarkeit von Natur und Bauvorhaben ging. „So wurde schon im Vorfeld immer auf das ländliche Ortsbild geachtet und mit den Begründungen von Martin Köhler manches Planvorhaben umgekrempelt. Das gelang meist, beim futuristisch anmutenden neuen Forsthaus aber nicht. Mehrheitlich stimmte da der Ortschaftsrat zu, dass ein neuer Baustil in Grüna vertretbar wäre. Wir haben kontrovers diskutiert, die Gespräche waren aber immer fair und konstruktiv auf das Beste für unseren Heimatort ausgerichtet.“

 

Ein Stück Geschichte Grünas – Martin Köhler hat sie mit geschrieben. Für das Gespräch bedanken sich Bernd Hübler und Gerda Schaale.

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