Im Gespräch: Herbert Bauer

„Was denkt ihr denn, wie viele Bauern es 1945 in Grüna gegeben hat?" Mit dieser Frage überrascht uns unser Gesprächspartner gleich nach der Begrüßung. „30 bestimmt", schätzt Bernd Hübler. Nach einem Blick auf die Liste in seiner Hand kann ich mit „41" antworten. Im

Gespräch mit Herbert Bauer

erfahren wir viel Aufschlussreiches und Wissenswertes über die Landwirtschaft von einem, der sich über 70 Jahre sowohl an die schwere Arbeit auf dem elterlichen Gut und an die „Kollektivierung der Landwirtschaft 1959/1960" erinnert und die Jahre in der LPG bis zu deren Auflösung miterlebt hat.

Herbert Bauer (links) im Gespräch mit Bernd Hübler und Gerda Schaale

Das Wohnhaus seiner Vorfahren soll eines der ältesten Gebäude in Grüna und etwa 400 Jahre alt gewesen sein. Es war ursprünglich einstöckig und mit Strohdach versehen. Später wurde ein Stockwerk in Fachwerkform aufgesetzt. „Mein Vater hatte den kleinen Bauernhof mit ca. 8,5 ha einschließlich Pachtland von seinen Eltern gerade übernommen, als ich 1934 als erstes von vier Kindern (ich habe drei Schwestern) geboren wurde. Inzwischen war das Wohnhaus baufällig, so dass ein neues gebaut werden sollte. Der Plan scheiterte, weil der 2. Weltkrieg begann. Unser Vater wurde im Januar 1945 noch zur Wehrmacht eingezogen, kam aber zum Glück unversehrt nach Hause."

Nach Kriegsende bot sich dem Vater die Gelegenheit, 6 ha Ackerland zusätzlich zu pachten und so 14,5 ha zu bewirtschaften. Aber nun reichten die Gebäude nicht mehr aus, waren zu klein. Mit dem Kauf einer Wohnbaracke in Hohenstein-Ernstthal, in der während des Krieges Gefangene oder Ostarbeiter untergebracht waren, sollte die Platznot gemildert werden. „In Eigenleistung haben wir die Baracke demontiert und mit dem Pferdewagen nach Hause geschafft. Aufgebaut haben wir sie nicht, denn Baumeister Ewald Schreiter brauchte sie dringend für einen Kunden. Er kaufte sie uns ab, dafür erweiterte er unsere bestehende Scheune mit einem großen Anbau. Bis 1954 wurden weitere Um- und Ausbauten ausgeführt, um auch die Stallungen der Betriebsgröße anzupassen."

Für alle vier Geschwister war es selbstverständlich, tüchtig zuzupacken und dem Alter entsprechende Arbeiten zu verrichten, vom Austreiben der Milchkühe bis zu Ernte- und Stallarbeiten. Von 1948 bis 1951 absolvierte der Älteste auf dem elterlichen Hof eine landwirtschaftliche Lehre und besuchte die Berufsschule in Reichenbrand und im Volksgut Rabenstein. Zwei seiner Schwestern machten ebenfalls eine landwirtschaftliche Ausbildung und arbeiteten noch einige Zeit im elterlichen Hof mit.

Als sich nach 1952 (Beschluss der 2. Parteikonferenz der SED zum planmäßigen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR) erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) vorwiegend im Norden der Republik bildeten, wurde das hier belächelt. „Wir dachten, die sind bestimmt finanziell in der Klemme oder es handelt sich um große Güter, die fremde Arbeitskräfte brauchten, diese aber auf Grund der besseren Bezahlung lieber in die Industrie abwanderten. Wir hörten davon, dass beitrittswillige Bauern Vergünstigungen erhielten und Industriebetriebe Patenschaften unterschiedlicher Art leisteten. Als Familienbetrieb kam so ein Zusammenschluss für uns nicht infrage."

Aber auch in Grüna wurde der Druck zuerst auf die wirtschaftlich gut dastehenden Betriebe immer stärker. Im September 1959 gelang es, zwei Bauern zur Gründung der LPG Tierzucht zu bewegen – zwei Bauernwirtschaften mit 25 ha Land und acht Familienmitgliedern. „Im April 1960 war mein Vater mit einer der letzten Bauern in Grüna, die sich dem Druck gebeugt haben. Heute kann ich darüber schmunzeln, aber damals war es eher bedrückend, als Agitatoren während der Feldarbeit von zwei Seiten auf uns zukamen, um Gespräche zu führen, oder Lautsprecherwagen eingesetzt wurden."

Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wurden anfangs in örtlichen Territorien gebildet, sind später zusammengelegt, mehrfach umorganisiert und umbenannt worden

Die Folgejahre zeigten und überzeugten auch Herbert Bauer, dass die von der Industrie hergestellten leistungsstarken Maschinen nur auf großen Flächen genutzt werden konnten und die körperlich schwere Arbeit weitgehend ablösten. Das ist auch heute so – neueste Ausrüstungen können nur von großen Betrieben bezahlt werden.

Herbert Bauer hat seine Aufgabe im Feldbau gefunden, er war als Traktorist – exakt „Mechanisator der Landwirtschaft" – beschäftigt, wurde auch in der Werkstatt eingesetzt. Das Territorium der LPG Pflanzenproduktion Neukirchen umfasste ein Gebiet von Burkhardtsdorf, Adorf, Klaffenbach, Neukirchen, Mittelbach bis Grüna sowie Stadtteile von Chemnitz. Im Wasserschloss Klaffenbach war das zentrale Ersatzteillager untergebracht. Seine Frau Irene gehörte zur LPG Tierproduktion „Karl Marx" Reichenbrand/Mittelbach, sie versorgte bis zur Auflösung der LPG an sieben Tagen in der Woche die Kühe.

„Unsere LPG hat nie schlecht dagestanden. Einmal Mitglied geworden, habe ich mich so wie wohl alle Grünaer Bauern auch dafür eingesetzt – das war Bauernehre. Wir hatten keine finanzielle Not, konnten unser schon vom Vater geplantes Haus bauen. Dafür gab es gute Unterstützung von der Genossenschaft, ebenso haben uns dabei viele Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen und Handwerker unterstützt."

In der Hauptsache hat Herbert Bauer Ladegreifer gefahren. „Mitte der 70er Jahr habe ich jede Platte der KAP-Straße (KAP = Kooperative Abteilung Pflanzenproduktion) von Mittelbach bis Neukirchen am Greifer gehabt. An Wochenenden habe ich im Auftrag der LPG vielen Einwohnern beim Ausschachten von Klärgruben geholfen oder Bauschutt geladen." Er war für seine Gefälligkeit in Grüna bekannt. Frag' doch mal den Bauer Herbert – das hatte sich bei Bauvorhaben im Ort rumgesprochen. Leider konnte er nicht jeden Wunsch erfüllen, bedauert er.

Zur Rückschau auf seine Jahre in der LPG gehören für Herbert Bauer auch die Besuche in Vodnany in Südböhmen, die ursprünglich von den Mittelbacher Fußballern geknüpft worden waren. Harald Helmert und Walter Bunzel (heute Transportunternehmen/Winterdienst in Mittelbach) hatten die Verbindung der LPG zur dortigen Genossenschaft geknüpft und gepflegt. Auf den jährlichen gegenseitigen Besuch freuten sich alle, sie lernten deren Arbeit in der Tierproduktion und im Weinbau kennen und hatten jede Menge Spaß bei der Weinverkostung. Die jahrelang bestehenden Kontakte zu ihren Gastfamilien sind leider abgebrochen.

Zur Wende 1990 war Herbert Bauer wie viele andere zunächst unentschlossen, ja hilflos. Er hat sein Land von der LPG zurückbekommen und wieder bewirtschaftet. Davon verkaufte er an die Investoren der Wohnbebauung Hexenberg 0,7 ha. Eine Hüftoperation 1993 zwang ihn, kürzer zu treten und die Landwirtschaft nur noch als Nebenerwerb zu betreiben. Seine Frau, die in der Viehwirtschaft hart gearbeitet und den Haushalt versorgt hatte, war inzwischen auch Rentnerin und in der Folgezeit schwer erkrankt. „Ich bin froh darüber, dass sie zunächst vom Pflegedienst und jetzt im Pflegeheim fürsorglich betreut wird und wir sie täglich besuchen können. Mein Dank gilt allen Beteiligten. Unsere Tochter und der Schwiegersohn Bernhard Köhler stehen mir auch immer zur Seite."

Sein langjähriges Hobby als Rassegeflügelzüchter hat er vor einem Jahr aufgegeben. Stolz zeigt er uns die Pokale, die seine Rouen-Enten und zuletzt seine Streicherenten bei Ausstellungen erhalten haben.

Und Grüna heute? „Ich hätte nie gedacht, dass Grüna einmal ohne seine Bauern existiert. Früher, besonders nach 1945, waren sie überlebenswichtig, half die Ernte doch, den Hunger einzudämmen. Heute werden die Felder vom Agrarbetrieb „Unteres Erzgebirge e.G." in Neukirchen und drei privaten Landwirtschaftsbetrieben aus Mittelbach bewirtschaftet. Einige halten noch ein paar Tiere im Nebenerwerb. Zur 750-Jahrfeier wird daran erinnert werden, dass die ersten, die sich hier ansiedelten, Bauern waren."

Für das Gespräch bedanken sich Bernd Hübler und Gerda Schaale

 

LPG-Gründung in Grüna

 

Januar 1958:

erste Gespräche von Gemeindevertretern zum Landsonntag mit Bauern – Konzentration auf die größten Bauernhöfe (Auerswald / Uhlig) im unteren Ortsteil

August 1958:

Bildung von Einsatzgruppen unter Einbeziehung des VEB Drahtziehmaschinenwerkes in die Agitationsarbeit

April 1959:

Bauer Winkler erklärt unter Druck seinen Eintritt – zunehmender politischer Druck auf die Bauern

10. September 1959:

Gründung der LPG „Tierzucht“ mit den Bauern Auerswald und Winkler. Patenbetrieb: VEB Drahtziehmaschinenwerk

1959 bis April 1960

Größere Erfolge der LPG in der Milchproduktion als positives Beispiel und Argument für die vollständige Kollektivierung der Landwirtschaft. Masseneinsatz der Agitatoren aus Betrieben, Verwaltungen…, zunehmender politischer Druck, Strafen werden angedroht

Anfang April 1960

„Endspurt“ – die Bauern unterschreiben die Eintrittserklärung. Die Gründungsversammlung folgt am 20. April 1960.

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