Im Gespräch: Lotte Schroth

In Grüna haben Sportler gelebt bzw. trainiert, die weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus bekannt geworden sind. Erinnern wir uns an den Fußballer „Lazer“ Walter Türk, an den Leichtathleten Herbert Uhle, an Falko Weißflog, 1976 Skiflugweltrekordhalter mit 174 m und 5. Platz der Vierschanzentournee 1977/78 oder an  . . .

Aber gäbe es eine Umfrage nach der sportlichsten Familie Grünas im vergangenen Jahrhundert – da könnte sich eine Frau melden und würde bestimmt ganz vorn landen. Deshalb waren wir im

 Gespräch mit Lotte Schroth

Kennen wir gar nicht, werden einige denken. „Ihr könnt ruhig Lotte Rothenburger schreiben, der Name ist noch immer bekannt.“ Nicht nur deshalb, weil sie von 1960 bis 1985 als Bibliothekarin bei Buchlesungen, Bibliotheksführungen und während der Ferienspiele der Kinder viele mit Literatur und Kunst vertraut gemacht hat. Wenn wir ergänzen, dass ihre Mutter eine geborene Boden ist, wissen vor allem die Fußballfans zurückliegender Jahre, dass das mit der sportlichsten Familie stimmen wird. Wir dürfen ihre 2005 aufgeschriebenen Erinnerungen an ihre Großeltern und ihre Kindheit lesen und für die Gesprächswidergabe nutzen.

Die Mutter von Lotte Schroth – Helene Boden – war die älteste der Geschwister, sie hatte noch ihre Schwester Elisa (Liesel) und die Brüder Kurt, Walter, Hans, Rudi und Heinz. Alle Jungs waren begeisterte Fußballer, kickten für die Grün-Weißen des “Sportverein Grüna 1912 E:V:“ im Wiesengrund, waren  aktiv dabei, als die 1. Mannschaft in der Spielzeit 1936/37 den Aufstieg in die höchste Spielklasse Sachsens, die Gauliga, schaffte.

„Ich wurde schon als Kind mitgeschleift auf den Fußballplatz. 1936 geboren, konnte ich nicht viel begreifen, was da auf dem Rasen geschah. Meine Mutter war immer dabei. Sie hat jedes Fußballspiel angeschaut, hat mitgefiebert und ‚Tooor‘ geschrien. Auch für meine Großmama, so hat sie immer erzählt, war das die schönste Zeit, denn jeder war ein exzellenter Spieler und hat dem Team gedient. Meine Großeltern müssen riesig stolz auf ihre Jungs gewesen sein. Doch dann war alles vorbei. Der Krieg zerstörte das Glück der Familie Boden, die Söhne wurden einer nach dem anderen eingezogen.“

Kurt, Hans und Heinz sind gefallen, Walter kam mit Tbc zurück und starb kurz danach. Rudi kam als einziger unversehrt nach Hause – um am Grab seiner Frau zu trauern. Diese hatte ihre in Heimarbeit gefertigte Ware nach Chemnitz geliefert und war im Bombenhagel umgekommen. Auch der Schwiegersohn kam mit Tbc aus dem Krieg und steckte seine Frau Liesel an, beide starben.

 „Ich erinnere mich, dass meine Mutter nach den Todesnachrichten – wie viele andere Frauen – immer schwarz gekleidet war, und an ihren hasserfüllten Satz, ‚den müsste man erschießen‘. Wie erst muss meine Großmama – die Mutter – geweint, geschrien, entsetzlich gelitten haben unter dem Verlust von fünf ihrer Kinder, dazu Schwiegertochter und Schwiegersohn. Vielleicht hielt sie die bis zu ihrem Tod bestehende Hoffnung aufrecht, dass der vermisst gemeldete Sohn Kurt zurückkehren würde, vielleicht half ihr die Pflege der Gräber beim Weiterleben. Ich bin noch heute traurig, wie meine Familie in diesem sinnlosen Krieg fast ausgerottet wurde. Und die Gefahr von Kriegen weltweit ist noch nicht gebannt!“

Mit diesen schweren Kindheitserinnerungen und der zerrütteten Ehe ihrer Eltern, sie wuchs mit ihrer zehn Jahre älteren Schwester beim Vater Hans Rudolph (auch ein Fußballer) in Mittelbach auf, musste Lotte ihren Lebensweg meistern. Sie lernte Industriekaufmann und zog 1953 zu ihrer Schwester, die in Wasserburg am Inn verheiratet war. Dort fand sie Ruhe und Harmonie im Zusammenleben – aber keine Arbeit im Beruf. Sie war zunächst als Dienstmädchen „in Stellung“, lernte ihren späteren Ehemann Georg kennen und folgte ihm ins Ruhrgebiet. „Als Hausmädchen der Familie des Großindustriellen Stinnes lernte ich den Kapitalismus pur kennen. Einerseits der unendliche Reichtum, andererseits die Demütigungen des Personals, das betraf nicht nur mich 18jährige. Mein Mann arbeitete im Bergwerk, musste sich im Schichtdienst mit einem Kumpel das Bett teilen. Unser ältester Sohn, nach bayerischer Tradition auch Georg genannt, wurde 1957 noch in Mülheim geboren, ein Jahr später kehrte ich, nun mit Familie, nach Grüna zurück, meiner Mutter zuliebe und weil wir in Bayern, von wo mein Mann ja stammte, keine Arbeit fanden.“ Sohn Klaus wurde 1959 geboren, Tochter Birgit folgte im Jahr 1964. 

Wie anfangs erwähnt, arbeitete Lotte Rothenburger bis 1985 in der Bibliothek, die sich im Kulturhaus der SDAG Wismut befand. Als Glücksfall für Grüna bezeichnet sie das Engagement und die finanzielle Unterstützung der Wismut. „1985 war mein Akku leer, ich spürte, so konnte es nicht weitergehen.“ Scheidung von ihrem Mann, eine Magenoperation – bei der folgenden Reha lernte sie ihren 2. Mann kennen. Sie folgte ihm 1987 in den Harz. Mit ihren Kenntnissen im Bibliothekswesen richtete sie in der Firma, in der sie in der Materialwirtschaft arbeitete, eine Zweigstelle der Ortsbibliothek ein. Ihre Erfahrungen aus der Grünaer Sektion für Wandern und Touristik, in der sie seit 1972 mit ihrem 1. Mann und später mit ihren Kindern aktiv war, nutzte sie, um in ihrem neuen Wohnort eine Wandergruppe zu gründen.

Als Witwe kehrte Lotte Schroth 2001 zurück nach Grüna und fühlte sich bei den Wanderfreunden sofort gut aufgenommen. Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass sie und ihr 1. Mann nach der Rückkehr 1958 von der Stasi permanent beobachtet wurden. Ihr Sohn Georg hatte unter der Westverwandtschaft zu leiden. Als Handballer trainierte und spielte er zunächst in der Mannschaft der DHfK Leipzig, dann wurde er nach Aue geschickt. Als Torschützenkönig der DDR-Oberliga trainierte er 1988 mit der DDR-Nationalmannschaft für die Olympischen Spiele in Seoul. Tochter Birgit war erfolgreich im Skilanglauf und Sohn Klaus spielte Fußball in Grüna.

Wie sieht Frau Schroth das Leben in Grüna in der Gegenwart?

„Ich wünsche mir, dass die Bibliothek im Folklorehof mit den neuen Angeboten von vielen genutzt wird, auch wenn sie den Bestand der ehemaligen Ortsbibliothek schon aus räumlichen Gründen nicht erreichen kann. Die Vereine haben sich, so wie ich das u.a. im Ortschaftsanzeiger lesen kann, nach der Wende wieder stabilisiert. Mein Eindruck ist, dass der Zusammenhalt besser geworden ist und Jung und Alt unter einem Dach gut harmonieren können. Neue Vorstellungen der jungen Leute können das Vereinsleben doch bereichern – bei den Naturfreunden erlebe ich das. Auch wenn ich jetzt alles langsamer angehen lassen muss, nach der Winterpause will ich wieder dienstags zur Dachsbaude, um mit den anderen Erinnerungen auszutauschen und Neues zu erfahren. Was ich mir vor allem wünsche: dass wir die 750-Jahrfeier unseres Ortes in einer friedlichen Zeit erleben.

 

Bernd Hübler und Gerda Schaale bedanken sich bei Frau Schroth, dass sie uns so offenherzig Einblicke in ihr bewegtes Leben und ihre Familiengeschichte gewährt hat. Vielleicht hat sie Leser zum Nachdenken gebracht und ein klein wenig angeregt, die guten Vorsätze für sportliche Aktivitäten im neuen Jahr umzusetzen.

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