Im Gespräch: Silvio Köster, Oberer Bahnhof- Historisch neu

Ein Brief von Herrn Achim Schmiedel an den Heimatverein Grüna gab den Anstoß für das Gespräch mit Sylvio Köstner, dem jetzigen Eigentümer des Oberen Bahnhofs. Der Briefschreiber, ehemaliger Bahnhofsvorsteher in Wüstenbrand, kennt die Geschichte genau, denn er hat 50 Jahre dort gewohnt. Er schreibt darin:

Es „…fand sich doch tatsächlich ein Eisenbahnbesessener, der sich der Immobilie annahm. Und zwar nicht nur, um dort zu wohnen, sondern auch, dass das alte Gebäude wieder zu Ehren kommt und seine Bahnhofsvergangenheit zu erkennen ist. Als alter Eisenbahner freue ich mich, dass das Haus wieder eine Zukunft hat und nicht dem Verfall preisgegeben ist, denn es gehört mit seiner Lage und seiner für Bahnhöfe typischen roten Klinkerbauweise und Schieferdach zum Ortsbild und hat einen gewissen Stellenwert. Der neue Eigentümer Sylvio Köster, Eisenbahner mit Leib und Seele, engagiert sich für den Verein Ferkeltaxi e.V. …“

Historisch neu: Oberer Bahnhof Grüna


Fotoalben und Bauzeichnungen liegen bereit, als wir uns mit Sylvio Köstner in dessen Wohnung treffen. Die Liebe und Leidenschaft zur Eisenbahn hat ihm sein Vater in die Wiege gelegt. Kein Wunder, dass er in der Schulzeit der AG 3/73 (Deutscher Modelleisenbahnverband) beigetreten ist. „Herr Franke, ehemals Eisenbahner, hat uns alle begeistert und bei mir das Interesse für Technik speziell in die Richtung Eisenbahn gefördert. 1985 habe ich meine Lehre bei der Bahn angefangen, da gehörte noch Fahrkartenverkauf und Gepäckabfertigung in Grüna dazu. Zuletzt war ich Stellwerksmeister in Wüstenbrand, bis 2001 das elektronische Stellwerk in Leipzig in Betrieb genommen wurde.“

Die Folge: Versetzung in die alten Bundesländer oder Arbeitslosigkeit. Die Abfindung vernaschen? Nein, er finanzierte damit seine Ausbildung, um den Lokführerschein zu erwerben. Jetzt verdient er sein Geld als freischaffender Lokführer (auch so was gibt es) im Güterverkehr oder seinen Triebwagen mit seiner eigenen Firma „Köstner-Schienenbusreisen“.

Zurück in das Jahr 1994. Sein damaliges Hobby brachte ihn mit Gleichgesinnten in Verbindung, die als „Lugauer Eisenbahnfreunde e.V.“ die Bahnstrecke Lugau – Wüstenbrand erhalten wollten. Doch für die einstige Kohlebahnstrecke gab es kein Geld, weil sie nicht mehr gebraucht wurde. 1997 entdeckte Sylvio Köstner im RAW Halle ein historisches „Ferkeltaxi“, das verschrottet werden sollte. Dem Kaufantrag des Vereins wurde von der Bahn zugestimmt, der Triebwagen nach Oelsnitz / E. geholt und aufgearbeitet. Seit dem Jahr 2000 bietet die „Traditionsgemeinschaft Ferkeltaxi e.V.“ Eisenbahnromantik der besonderen Art – wie es auf ihrem Flyer steht. Die jetzt drei Wagen mit jeweils 40 Sitzplätzen sind im Eisenbahnmuseum Hilbersdorf untergestellt. Sie können einzeln oder im Verbund für bis zu 120 Personen gemietet werden

„Wir bieten Fahrten an festgelegten Tagen mit bestimmten Zielen an. Auch 2015 wird es unter anderem eine 4-Tagesfahrt mit Programm auf die Insel Usedom geben. Individuelle Routen sind möglich, wenn Firmen oder Privatpersonen besondere Ziele oder Veranstaltungen ansteuern wollen – ich organisiere das, stimme Strecke und Zeitplan mit dem Stellwerk in Leipzig ab. Vieles ist möglich sogar deutschlandweit, der Kunde entscheidet, ob mit Verpflegung/Getränken oder ob ein Musikant für gute Laune sorgen soll. Freilich ist es eine Frage des Geldes,  abhängig von der Fahrtstrecke und der Teilnehmerzahl – aber unerschwinglich ist die Reise nicht. Die Bahn verlangt Geld für die Streckennutzung, der Lokführer muss auch verdienen und an sonstige Aufwendungen wie den aller acht Jahre notwendigen TÜV muss auch gedacht und dafür angespart werden.“ 125 000 Euro würde der wohl pro Fahrzeug kosten, wenn Sylvio Köstner nicht die notwendige Ausbildung und die Berechtigungen erworben hätte, vieles dabei selbst zu machen. Als 1997 das RAW Halle geschlossen wurde und alles verschrottet werden sollte, konnte der Verein sich vieles für den Wiederaufbau und als Ersatzteile sichern.

Es ist ein reizvoller Gedanke, auch einmal auf wenig befahrenen Nebenstrecken das Erzgebirge zu erkunden. Im Heimatverein haben wir schon mal darüber nachgedacht, dass so eine Fahrt eine wunderschöne Sache sein könnte. Vielleicht ist das auch eine Anregung für die Mittelbacher Freunde oder für andere Vereine in Grüna, damit das Ferkeltaxi, vielleicht auch zwei aneinander gekoppelte Triebwagen, gut ausgelastet werden kann – und gemeinsam macht es ja besonders viel Spaß.

Die Traditionsgemeinschaft Ferkeltaxi hat sich über Chemnitz hinaus einen Namen gemacht. Wie sonst hätten sie das Angebot aus Karlsruhe erhalten, die dort auf dem Güterbahnhof stehenden sechs Triebwagen mit vollständigen Unterlagen zu übernehmen. Eine Aufgabe, die als Hobby in der Freizeit nicht mehr zu stemmen wäre. Deshalb hat Sylvio 2010 seine schon erwähnte Firma „Köstner Schienenbusreisen“ gegründet.

Wie kam Sylvio Köstner zu „seinem“ Bahnhof in Grüna? Hierher zog er mit seinen Eltern, als er ein Jahr alt war, hier lebt sein Vater noch immer. Mit Einstellung des Zugverkehrs nach Limbach vermietete die Bahn es als Wohnhaus und investierte 1999/2000 nochmals, aber ohne Badeinbau und WC in den Wohnungen. Zehn Jahre lang stand es zum Verkauf. „Ich war wohl der einzige ernsthafte Interessent, denn innerhalb von drei Monaten nach meiner Bewerbung hatte ich den Zuschlag. Seit Juni 2011 gehört das Haus mit Nebengebäuden und Grundstück mir.“

Seitdem arbeitet er daran, dass das Wohnhaus und das Umfeld als Denkmal an die Zeit der Eisenbahn erinnern. Die Fassade wieder herzurichten – ein Kraftakt für ihn. „Da musste ich Chemie einsetzen, sonst wäre das nicht zu schaffen gewesen.“ Zum Festumzug 750 Jahre Grüna sorgte die „Hexe“ lautstark für Aufsehen. Und weil sie in Grüna war, blieb sie auch gleich hier. Zu einem richtigen Bahnhof gehört eine Lok, hier wird sie gepflegt.

Zusätzlich zur Renovierung einer Wohnung im Erdgeschoss, die vermietet werden soll, will Sylvio Köstner anhand von Fotos Altes wieder herstellen. Zum Beispiel ein Rundbogenfenster, Fernsprechkasten und Freileitungen der Bahn (als Attrappen) sollen wieder angebracht werden, an die Einzäunung des Wirtschaftshofes nach altem Vorbild ist gedacht. „Die schon unterbrochene Gleisanlage soll als Bahnanlage entwidmet werden und ist der Stadt Chemnitz angeboten worden. Ein Stück Gleis möchte ich erhalten, denn was ist ein Bahnhof ohne Gleis?

Beim Gespräch spüren wir immer, mit welcher Begeisterung Sylvio Köstner ein altes Stück Grüna erhalten und originalgetreu wieder aufbauen will, um die Erinnerung an die Zeit vor über 100 Jahren wach zu halten und künftigen Generationen zu vermitteln. Ihm wünschen dafür weiterhin viel Kraft und Enthusiasmus

Bernd Hübler und Gerda Schaale

 

(Informationen unter www.Schienenbusreisen.de)

 

Warum „Ferkeltaxi“?

Zu Zeiten, als es noch keine Autos gab, nutzten die Bauern die Möglichkeit, ihre lebenden Ferkel, Ziegen, Schafe, Hühner und was sie sonst verkaufen wollten, per Eisenbahn (die gibt es seit mehr als 175 Jahren) in die Städte zu transportieren, um sie dort auf den Märkten anzubieten. Im Volksmund hießen die dafür genutzten Waggons schnell „Ferkeltaxi“. Der Name sollte erhalten bleiben – jetzt natürlich mit einer entsprechenden Innenausstattung für die Fahrgäste.


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