Langjähriger Famileinbetrieb: Zimmerei Jürgen Nitzsche

Langjährige Familienbetriebe in unseren Ortsteilen

Die Zimmerei Jürgen Nitzsche auf der August-Bebel-Straße 13 –

und ein bisschen Familiengeschichte der Bau- und Zimmerleute Nitzsche.

Wenn man den Hof der Zimmerei betritt, riecht oder (besser) duftet es nach Holz, man sieht Fachwerks- und Balkenkonstruktionen und verspürt sofort den Wunsch, diesen schönen Werkstoff Holz selbst in Haus und Garten zu nutzen und zu verarbeiten. Zumindest ging es uns, Bernd Hübler und Ulrich Semmler, bei unserem Besuch in der Zimmerei so. Und dann noch die Bilder von den Dachstühlen und anderen Referenzobjekten, die die Firma im Laufe der letzten Jahre gebaut hat!


J. Nitzsche in Zimmermannskleidung

Aber eins noch dem andern. Die Geschichte der Familie Nitzsche lässt sich über 400 Jahre zurückverfolgen. Soweit bekannt, stammen die Nitzsches aus der Nitzsche-Mühle in Pleißa. Im 30-jährigen Krieg brannte in Grüna ein Herold-Bauerngut bis auf die Grundmauern nieder - dort, wo sich heute mit der Adresse August-Bebel-Straße 15 noch der Nitzsche-Bauer befindet, der aber kein bäuerlicher Betrieb mehr ist. Ein Nitzsche aus Pleißa heiratete in die Herold-Familie ein, die in Grüna mehrere Anwesen hatte, und baute auf den alten Grundmauern das Wohnhaus wieder auf.

Springen wir jetzt ca. 150 Jahre weiter. Die Urgroßeltern von Jürgen Nitzsche, Hermann (1856-1940) und Pauline (1865-1947) Nitzsche waren Bauern in dem genannten Hof. Sie hatten 13 Kinder. Den Bauernhof führte Fritz Nitzsche weiter, später dessen Sohn Gerhard, der dann in die LPG eintreten musste. Geld, um die übrigen Kinder auszuzahlen, stand den Urgroßeltern nicht ausreichend zur Verfügung. Deshalb wurden sie mit Land bedacht. So gründeten 4 Kinder in den 20-er und 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf Grundstücken nahe des Bauerngutes auf ihren Erbteilen Handwerksbetriebe.


Hochzeitsbild von Wella und Paul Nitzsche, Firmengründer der Zimmerei

Ein Sohn, Karl Nitzsche, gründete oberhalb des Bauerngutes einen Tief- und Straßenbaubetrieb, den dessen Sohn Werner (im Ort bekannt aus Nitzsche-Bummel) weiterführte. Da er in DDR-Zeiten mehr als 10 Mitarbeiter hatte, wurde der Betrieb verstaatlicht und als Kreisbaubetrieb des Kreises Karl-Marx-Stadt/Land weitergeführt. Nach der Wende schnell wieder an die ehemaligen Besitzer rücküberführt, wurde die Firma unter Werners Sohn Knut Nitzsche als Nitzsche & Weiß Bau GmbH schnell zum größten Baubetrieb in den neuen Bundesländern. Die Expansion in die alten Bundesländer ging aber schief und führte zum bekannten unrühmlichen Ende der Firma.

Zwei weitere Söhne von Hermann und Pauline Nitzsche, Richard und Bruno Nitzsche, gründeten ebenfalls Baufirmen: Richard gegenüber dem Bauerngut einen Steinmetz- und Betonsteinbetrieb und Bruno einen Baubetrieb oberhalb der Bahngleise.

Sohn Paul (geb. 1890) schließlich, der Großvater von Jürgen, gründete 1929 eine Zimmerei an der jetzigen Stelle unterhalb des Bauerngutes und schuf somit die Grundlage für die Zimmerei Nitzsche, über die nachfolgend zu berichten ist.

Vier Jahre nach der Firmengründung baute Paul dann das Wohnhaus auf dem Firmengrundstück. In der nächsten Generation übernahm Jürgens Vater Hans Nitzsche 1953 mit dem Tod seines Vaters die Zimmerei und führte diese bis zum Tode im Jahr 1985.


Ehepaar Paul und Wella Nitzsche mit Sohn Hans und Tochter Liselotte

Schaut man sich die Ausrüstung der Firma in den frühen Jahren an, so ist in Erinnerung geblieben, dass bis zum Jahr 1959 ein zweirädriger Handkarren als Betriebsfahrzeug für den Holz- und Werkzeugtransport zur Verfügung stand. Jürgen erinnert sich, dass, wenn viel Holz geladen war, auch seine Mutter und die Gesellen zum Schieben mit eingesetzt wurden.

Im Jahr 1959 erkämpfte der Firmenchef Hans Nitzsche beim Rat des Kreises Karl-Marx-Stadt/Land die Genehmigung, einen gebrauchten Framo zu erwerben. Und einige Jahre später war es dann ein Kleintransporter B1000, den er in Limbach aufbauen ließ – keine einfache Sache damals unter ständigem Mangel an Material und Arbeitskräften.


Hans Nitzsche mit dem Framo-Firmenfahrzeug

Die Kunden zu dieser Zeit waren Privatleute und die örtlichen volkseigenen Betriebe. Da Schnittholz, Bretter und Holzbearbeitungsmaschinen kaum verfügbar waren, wurden in der Zimmerei jeden Winter zwei Fuhren mit Holzstämmen bis ca. 14 cm Durchmesser (Derbstangen) geholt und zu Kantholz und Zaunmaterial geschnitten – eine Knochenarbeit, wenn man bedenkt, dass die genutzte polnische Kettensäge aus dieser Zeit ein Gewicht von ca. 35 kg hatte und mit Kraftstrom betrieben wurde.

Der Bau von neuen Dächern war die Ausnahme, da kein Schnittholz in ausreichender Menge zur Verfügung stand. Genutete und gespundete Bretter gab es ebenfalls kaum zu kaufen, so dass sie häufig in der Zimmerei selbst in 4 Arbeitsschritten hergestellt wurden.

Ein Spezialgebiet war der handwerkliche Holztreppenbau, bei dem Jürgens Halbbruder Siegfried Nitzsche ein ausgesprochener Spezialist war.

Jetzt zum beruflichen Werdegang von Jürgen Nitzsche, geboren 1953. Er hat Baufacharbeiter mit Abitur erlernt und war dann beim Bau der Stadthalle mit tätig. Der Beruf des Zimmerers war zur dieser Zeit nur von Achtklassenschülern erlernbar, galt also als "minderwertiger" Beruf, da die normale Schulbildung 10 Schuljahre umfasste. Ab 1973 studierte er an der Hochschule in Cottbus Bauingenieur und erwarb danach im Fernstudium noch das Diplom. Ein Diplom im Bauwesen schloss die Qualifikation als Handwerks-Meister ein. Seine berufliche Laufbahn begann Jürgen Nitzsche im Wohnungsbaukombinat Karl-Marx-Stadt im Direktorat für Vorbereitung von Wohngebieten im Plattenbau. Aber die Arbeit ausschließlich im Büro und zu großen Teilen „für den Papierkorb“, weil die geplanten Wohngebiete dann nicht gebaut wurden, behagten ihm nicht, und so wechselte er im Jahr 1979 in die elterliche Zimmerei. Bis zum Tod seines Vaters im Jahre 1985 arbeitete er als Geselle im elterlichen Handwerksbetrieb.

Für die Erteilung von Genehmigungen zur Gründung von Handwerksbetrieben wurden in der DDR Einzugsbereiche festgelegt. Die Halbbrüder Jürgen und Siegfried Nitzsche erhielten solche Genehmigungen am 1.7.1986 durch den Rat des Kreises Karl-Marx-Stadt / Land: Jürgen Nitzsche in der August-Bebel-Straße 13 als Zimmerei für die Gemeinde Grüna und Siegfried Nitzsche in der August-Bebel-Straße 29 bzw. 42 als Zimmerei für die Gemeinde Mittelbach. Beide Zimmereien wurden, weil sie weniger als 10 Mitarbeiter hatten, während der DDR nicht verstaatlicht.

Erster Geselle und erster Lehrling in der für Grüna zuständigen Zimmerei Jürgen Nitzsche waren damals Jens Nietzold und Frank Uhlig aus Grüna. Aber die wichtigste Person im Betrieb in all den Jahren war und ist Ehefrau Regine, die auch während unseres Besuches in den Räumen der Zimmerei nebenbei „Bürokram“ erledigte.

Die Wünsche der Bevölkerung nach Handwerksleistungen zu erfüllen – nichts würde ein Handwerker lieber tun. Das stand aber in DDR-Zeiten oft im Gegensatz zu den Möglichkeiten.

In der sozialistischen Planwirtschaft wurde das Material mit sogenannten Materialkontingenten jedem Handwerksbetrieb zugewiesen. Das waren für das Jahr 1987 beispielweise 11 m² Nadelschnittholz bei der Firma Richard Friedrich in Rabenstein (jetzt Fa. Weidauer). Damit kam man nicht weit. Und man konnte auch nicht kaufen, was man benötigte, sondern nur was vorrätig auf dem Lagerplatz war. Es waren Zustände, die junge Leute heutzutage schwer nachvollziehen können. Mit dem wenigen Material führten die Nitzsches fast ausschließlich Reparaturen im örtlichen Bereich an Dächern, Fassaden und Holzbalkendecken aus. Die Maschinen und Werkzeuge stammten großenteils noch aus dem großväterlichen Betrieb oder vom Vater Hans Nitzsche.

(Kleine Nebenbemerkung: Ich, Ulrich Semmler, erinnere mich noch sehr gut, welche Anstrengungen meine Eltern unternommen haben, um ausreichend Holz für den Dachstuhl und die Dachschalung unseres Hauses zu bekommen, obwohl der Eigenheimbau genehmigt war und ein entsprechendes Holzkontingent theoretisch auch.)

Auf Grund der Zustände in der Mangelwirtschaft der DDR haben die Handwerker und Betriebe aber gelernt zu improvisieren, was sich auch in der heutigen Zeit durchaus auszahlt. Man denke nur an die Corona-bedingten Lieferengpässe in jüngster Zeit!

Dann kam die Wende!

Diese bot für die Handwerker große Möglichkeiten zur Betriebsentwicklung. Der erste Geselle in Bielefeld, der aus dem Osten einen fachlichen Weiterbildungskurs absolvierte, war Jens Nietzold. Die Zimmerei lernte Firmen hinter der ehemaligen Grenze kennen, so die Fa. Arnold in Fernwald bei Gießen, die die Zimmerei Nitzsche beim Wachsen in die neuen Strukturen unterstützte und zu der auch nach 31 Jahren noch regelmäßiger privater Kontakt besteht. Die erwähnte Improvisationsfähigkeit war z.B. notwendig, als es schnell um ein neues Firmenfahrzeug ging. Im Jahr 1990 erwarb die Fa. aus Stasi-Restbeständen einen Robur-LO-LKW. Es war ein Lausprecher-Übertragungswagen. Die elektronischen Anlagen wurden ausgebaut und weiterveräußert, der Kastenaufbau in eine Pritsche umgebaut. Und mit dem LKW wurde der in Fernwald gefertigte Vorbau für das Grünaer Rathaus geholt und in Grüna aufgebaut – das erste komplizierte Dach für die Fa. Nitzsche.

Die Firma erweiterte sich in den Jahren bis 2000 stark. So erfolgten die Errichtung einer neuen Werkstatthalle und ein Büroeinbau im Jahr 1997, die Errichtung einer Lagerhalle von ca. 40m x 15m auf dem Gelände des Oberen Bahnhofs mit 1000 m² Bitumenfläche, Investitionen in 2 Kran-LKWs, in ca. 10 FIAT-Kleintransporter, in Gabel- und Seitenstapler, in moderne Zimmerermaschinen und Computertechnik.

Seit der Wende wurden etwa 13 Lehrlinge ausgebildet und 12 Leute zum Zimmerer umgeschult. In Spitzenzeiten im Jahr 2000 waren über 20 Mitarbeiter und Angestellte beschäftigt. Danach flachte der Bauboom ab, und vorausschauend hat Jürgen Nitzsche die Fa. nach und nach „erfolgreich verkleinert“ – was aus heutiger Sicht sicher auch der Fa. Nitzsche & Weiß GmbH gut getan hätte.

Hier eine Auswahl von Referenzobjekten, auf die die Zimmerei zu Recht stolz sein kann:

  • Holzarbeiten am Folklorehof, an der Pelzmühle und am Forsthaus Grüna,

  • Aufstockungen von Wohnhäusern mit Flachdach in der Umgebung,

  • hochwertige Zimmererarbeiten an Denkmalschutzobjekten in Potsdam und Berlin,

  • Dach- und Deckensanierung an ca. 50 Gründerzeithäusern in Chemnitz und Umgebung,

  • Sanierung von Fachwerkhäusern,

  • Erneuerung von Bühnenböden im Opernhaus, im Schauspielhaus, in der Probebühne Chemnitz und aktuell in der geplanten Ausweichbühne im ehem. Spinnereimaschinenbau Karl-Marx-Stadt/ Chemnitz.



Referenzobjekte der Zimmerei in jüngster Zeit

Einer der Potsdamer Auftraggeber war Günther Jauch, der mehrere Häuser in Potsdam gekauft hat, sanieren ließ und lässt, vermietet und damit einen Beitrag zur Verschönerung Potsdams leistet. Die Zimmerei Nitzsche war mit Dachstuhlsanierungen dabei. Das Bild entstand bei einem Richtfest, bei dem sich Herr Jauch als Kandidat von „Wer wird Millionär“ mit Fragen wie „Wie viele Quadratmeter Dachschalung wurden verlegt: A … m2, B … m2, C … m2, D … m2?“ bewähren musste (Telefon-Joker etc. waren natürlich zugelassen).


Bauherr Günther Jauch als Wer-wird-Millionär-Kandidat beim Richtfest

Das System Bauen ist in den letzten Jahren ausgesprochen kompliziert geworden. Während in DDR-Zeiten die Handwerker dem Material und Maschinen "nachgerannt" sind, rennen sie heute häufig dem Geld für offene Rechnungen nach. Und heute suchen die Handwerksmeister nach guten Gesellen und Lehrlingen.

Als Resümee stellt Jürgen Nitzsche heute mit 68 Jahren fest, dass er ein erfülltes und ereignisreiches Berufsleben hatte, an vielen sehr unterschiedlichen und anspruchsvollen Bauobjekten mitgearbeitet hat und dabei eine Vielzahl interessanter Menschen kennenlernen durfte. Als berufstätiger Rentner führt er mit seiner Zimmerei noch Kleinaufträge durch, erstellt holzschutztechnische Gutachten und gibt Sanierungsempfehlungen.

Im Jahr 2021 hat Herr Ralf Nitzsche, ein Nachkomme aus dem Nitzsche-Gut gegenüber, seine Firma unter dem Namen Holz-Systembau Ralf Nitzsche gegründet. Er hat alle Mitarbeiter von Jürgen Nitzsche übernommen und sich in die Werkstatt eingemietet. Und damit bleibt eine Zimmerei in der Familie Nitzsche bestehen.


Firmennamen auf Werkstatthalle

Wir, Bernd Hübler und Ulrich Semmler, bedanken uns bei dem Ehepaar Regine und Jürgen Nitzsche für den interessanten Einblick in das Zimmereihandwerk und für die gute Zuarbeit für vorliegenden Beitrag im Ortschaftsanzeiger.

Dieser Artikel stammt aus dem Ortschaftsanzeiger Grüna / Mittelbach Dezember 2021

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